Dr. Murad Wilfried Hofmann, geboren 1931,
promovierter Volljurist, arbeitete 33 Jahre im diplomatischen Dienst, zuletzt als
Botschafter in Algerien und Marokko.
Er konvertierte 1980 zum Islam, vollzog mehrfach die Pilgerfahrt nach Mekka. 1983-1987 war
er Informationsdirektor der NATO. 1992 erschien Der Islam als Alternative, das
auch in der islamischen Welt großen Anklang findet und in zahlreiche Sprachen (mehrere
arabische Auflagen) übersetzt worden ist. 1996 folgte Reise nach Mekka, 1999
erschien die von ihm überarbeitete Ausgabe der deutschen Quran-Übersetzung von Max
Henning, im Jahre 2000 folgte Der Islam im 3. Jahrtausend.
Als vielgefragter Vortragsredner bereist er heute Westeuropa, die USA und die islamische
Welt.
Islamische Zeitung: Herr Hofmann, Sie leben hier in Aschaffenburg, wie auch in
Istanbul. Wo ist es für den weitgereisten Diplomaten am schönsten?
Murad Hofmann: Im Sommer lebe ich in der Türkei, im Winter in Deutschland, denn ich
möchte mich darauf verlassen können, dass Sommer und Winter tatsächlich stattfinden,
was im sommerlichen Deutschland oft nicht der Fall ist. In Deutschland ist der Winter
verlässlicher, zwar auch kälter, aber hier funktioniert alles.
Islamische Zeitung: Wie sehen Sie momentan die Lage in Istanbul, den Alltag?
Murad Hofmann: Ich würde sagen, die Türkei befindet sich nicht nur in einer
Wirtschaftskrise, sondern in einer politischen Krise, man kann sogar sagen in einer
Staatskrise! Als ich meine (türkische) Frau heiratete, vor 25 Jahren, war das Verhältnis
der Lira zur D-Mark 1:14. Und jetzt ist es 1:623000. Ich bin davon überzeugt, dass man
den Adhan abschaffen will. Das aber stufenweise. Zunächst hieß es, man will den Adhan
zentral steuern, dass also alle Moscheen angeschlossen sind an einen Punkt, von dem aus
dann gleichzeitig der Adhan ausgerufen wird. Das sei doch ein Fortschritt im Sinne von
Qualität des Muadhin, gleichzeitig setzt man Tausende Muadhins auf die Straße. Und jetzt
hat man offenbar in Fatih zunächst mal 65 Moscheen den Adhan mit Lautsprecher verboten,
mit der Begründung, es gäbe zu viele Moscheen, es sei ein Durcheinander. In Fes gibt es
330 Moscheen. Wenn die gleichzeitig zum Gebet rufen ist dieses Durcheinander ein Konzert,
es ist fabelhaft! Da steigt der Adhan wie aus dem Tal hoch, man meint, man könnte ihn
greifen. Das nächste wird natürlich sein, da wird es eine elektrische Panne geben, dann
wird der Gebetsruf mal ein paar Tage nicht zu hören sein, weil in der Zentrale ein
Ausfall war, so wird man das machen.Islamische Zeitung: Der Begriff
Euro-Islam macht die Runde - Ihr Kommentar?
Murad Hofmann: Dieser Begriff wird vor allem benutzt von Bassam Tibi und dessen Art von
Islam möchte ich nun wirklich nicht. Ich habe ihn bisher deshalb nicht
benutzt, weil ich immer den Eindruck hatte, dass die Leute, die bisher davon sprachen,
unter Euro-Islam, sehr viel Euro und sehr wenig Islam verstanden.
Das heißt aber nicht, dass nicht auch ich davon ausgehe, dass der Islam in jedem Land, in
dem er sich verbreitet, eine lokale Kolorierung haben wird. Wenn ich an den Islam in
Amerika denke - dessen Aussichten mich besonders hoffnungsfroh stimmen - da kommt in den
Islam dort das Afroamerikanische, die ganze Vitalität, die Glaubensintensität der
Schwarzen hinein. Dann gibt es in Amerika eine sehr hohe intellektuelle Komponente, weil
fast alle amerikanischen emigrierten Muslime als Studenten gekommen sind.
Das heißt, der Akademikeranteil in der amerikanischen Ummah ist höher als in jeder
anderen Religion. Also jeder fünfte Arzt in Amerika ist ein Muslim. Und viele von denen
haben sich als Studenten gegenseitig versprochen, 10% ihres Einkommens jeweils für den
Islam auszugeben. Und in Amerika Arzt sein, heißt Millionär sein.
Ich war gerade jetzt im September kurz vor dem schlimmen Ereignis in Chicago, bei dem
ISNA-Treffen, da kamen 33000 amerikanische Muslime, von denen weit über die Hälfte
Jugendliche unter 24 Jahren waren. Von denen waren wiederum die Mehrheit Frauen. Da gab es
einen Vortrag, den ich halten sollte, bei einem trilateralen Treffen - Juden, Christen,
Muslime - und das Einladungskomitee hatte 20 Muslime, von denen waren 19 Ärzte. Dass
natürlich in einer solchen Umgebung ein amerikanischer Islam entsteht, mit einer
intellektuelleren Komponente ist ja ganz selbstverständlich. |
Islamische Zeitung: Wie war Ihre
spontane Reaktion auf die Bilder des 11. September?
Murad Hofmann: Mein aller erster Eindruck war, ich dachte tatsächlich das sind Kamikaze,
das sind Japaner, die sich rächen wollen für Nagasaki und Hiroshima. Aber dann, nach
kurzer Zeit war die Lage schon klar und dann sagte ich nur: Allah schütze Deine
Muslime.
Wir hätten uns von Usama bin Laden früher distanzieren sollen. Also ich hatte von
Al-Qaida nie gehört, aber von Usama bin Laden hatte man hören können. Ein Muslim darf
ja einem anderen nicht absprechen, Muslim zu sein und deshalb geht das auch bei Bin Laden
nicht. Er ist ein Produkt unseres Nährbodens. Der Quran verbietet den Selbstmord
ohne jede Einschränkung. Und deshalb bin ich entsetzt, dass mehrere hochgestellte
Persönlichkeiten im Islam Selbstmordattentate gerechtfertigt haben.
Wir wissen, dass durch die ganze Menschheitsgeschichte manche der schlimmsten Taten mit
bestem Gewissen von religiösen Menschen mit religiösen Motiven begangen wurden. Die
Assasinen haben wir ja auch erlebt. Das waren Leute, die unter Haschisch gesetzt wurden,
um dann Selbstmordattentate zu machen, um Leute umzubringen, wie Nizam Al-Mulk.
Islamische Zeitung: Sind Ihnen seit dem 11. September nichtmuslimische Stimmen
aus dem öffentlichen Leben positiv aufgefallen?
Murad Hofmann: Ja, wie ich in der IZ gelesen habe, war ja Günther Grass sehr positiv in
seiner Einstellung. Ansonsten muss ich schon sagen, dass es nach meiner Beobachtung nach
dem 11. September in Amerika überhaupt keine Analyse der Ursachen gegeben hat. Das ist in
Amerika bis zum heutigen Tag so. Und das hat folgenden Hintergrund: In Amerika darf man ja
auch nicht etwa die Ursachen des Holocaust analysieren. Die Medien unterbinden jeden
Versuch zu erklären, wie es zu dem Holocaust hat kommen können, nach der These: alles
verstehen, heißt alles verzeihen. Und so kommt natürlich auch das Abwürgen jeder
Analyse in Amerika Israel zugute.
Man kann den 11. September nicht erläutern, nicht analysieren, ohne dabei auf Israel zu
stoßen. Es wird immer wieder Bin Ladens geben solange man nicht endlich diesen Menschen
Gerechtigkeit widerfahren lässt. Die Vereinten Nationen erlassen Resolutionen, die aber
nur angewandt werden, wenn sie sich gegen ein islamisches Land richten, z.B. im Irak.
Resolutionen, die sich zugunsten von Muslimen auswirken würden sind noch nie vollzogen
worden. Kaschmir: Es sollte die Volksabstimmung schon vor 40 Jahren stattfinden! Bei
Palästina und Israel ist noch keine einzige Resolution umgesetzt worden!
Islamische Zeitung: Was ist Ihr Rat für die Muslime in Deutschland, in Europa
in der Zukunft?
Murad Hofmann: Also als Gefahr sehe ich, dass die Muslime jetzt sich in eine apologetische
Ecke drängen lassen. Denn wir werden nur dann uns hier durchsetzen, wenn unsere Umwelt
weiß, dass wir ihr etwas bieten, nicht nur betteln.
Bisher sehen wir so aus, wir wollen immer was: Wir wollen einen Muezzin-Ruf und da wollen
wir ein Begräbnis und da wollen wir schächten - wir wollen immer was. Und es sieht so
aus, als seien wir nicht leichter glücklich und zufrieden zu machen, als wenn man uns
toleriert. Wir werden erst dann wirklich akzeptiert, wenn unsere Umwelt versteht, dass wir
ihr etwas zu bieten haben, was ihr bitter Not tut, weil es ihr abgeht.
Und das sind all die Dinge, die den Westen auf seine Kulturkatastrophe zutreiben lassen.
Viele Leute haben heute doch das Gefühl: das kann doch nicht alles sein. Das sind viele,
die mit den Grünen sympathisieren, andere studieren den Islam, andere auch werden von
Allah taala einfach direkt angesprochen.
Im Übrigen kann keine Quran-Übersetzung so schlecht sein, dass sie nicht doch
jemanden zum Islam bringen kann. Und nach dem 11. hat die Anzahl der Konversionen nicht
nachgelassen! Vor ein paar Tagen erst habe ich einen Brief bekommen von einem
Diplompsychologen in Deutschland, der jetzt zum Islam übertritt.
24.01.02
Quelle: Islamische Zeitung
@ Ekrem Yolcu |