Sonntag,
23.03.2003
Heute hat der eigentliche Krieg begonnen: "Wir erleben gerade, wie hohe
völkerrechtliche Errungenschaften zu Grabe getragen werden - mit ihnen viele getötete
Iraker"
Was können jetzt Muslime in diesen schweren Stunden hierzulande machen? Was passiert
wenn es zu Anschlägen kommt? Kommentar von Aiman A. Mazyek
Heute am vierten Tag nach den ersten Luftangriffen der amerikanischen und britischen
Bomber hat der Krieg gegen den Irak erst wirklich begonnen. Warum?
Die ersten Tagen waren von dem naiven Wunsch der Angreifer gekennzeichnet, nämlich Saddam
direkt habhaft zu werden und ihn aus seinem Bunker zu bomben; von dem Versuch der
Weltöffentlichkeit weiszumachen, dass dieser Krieg - ja als Novum in der Kriegsstrategie
- erstmals chirurgische Wege geht. Heute zeigt sich: alles Kriegspropaganda auf dem
Schlachtfeld der Medien. Denn die Medien sind ein mindestens genauso eroberungswürdiges
Feld wie die irakischen Ölfelder. Und jetzt scheint trotz immenser Artillerieabsicherung
durch CNN und Co die Wahrheit ans Licht zu kommen.
Der Zynismus, der sich in den ersten Tagen breit machte, dass alle gemeinsam nun auf einen
möglichst schnellen Sieg der amerikanischen Streitkräfte hoffen sollten, der so wenig
Opfer wie nur irgend möglich kosten würde, verblasst und entpuppt sich als reiner
Wunschgedanke. Die amerikanischen Militärstrategen haben die arabische Seele
wahrscheinlich falsch eingeschätzt. Das bekommen die Militärstrategen jetzt zu spüren.
Doch zu welchem Preis?
Denn trotz Hunger, Armut und einer der größten Kindersterblichkeit im Lande, welches
Saddam selbst mit zu verantworten hat, haben die Iraker ihren Stolz und ihre Würde nicht
verloren. Im Klartext heißt das: Invasoren, gleich von welcher Seite, werden niemals
willkommen geheißen. Und so leisten die Iraker -ob Schiiten oder Sunniten - Widerstand.
Widerstand der Bevölkerung heißt wiederum für die Militärstrategen in ihrer
militaristischen Logik: den Feind ohne Differenzierung platt zu bomben - denn er wollte es
ja nicht anders und gehört womöglich ja sowieso zu Al-Qaida-Symphatisanten.
Und diese schreckliche Wendung zeichnet sich mit dem heutigen Tag ab - siehe Basra und
anderswo. Tausende von Tonnen Bomben werden in den nächsten Stunden und Tagen auf die
Köpfe der Iraker geworfen. Abertausende werden - und zwar besonders unschuldige Kinder
und Mütter - sterben.
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Noch einmal doppelt so viele werden zu
Flüchtlingen. Und dreimal so viele werden unter den Folgen des Krieges leiden. Für
welchen Zweck? Das vermag weder die absolute Mehrheit der Weltbevölkerung, die große
Mehrheit der UNO-Staaten, die gesamte islamische Welt und die Führer der großen Kirchen
nicht zu sagen.
Die Mehrheit der Rechtswissenschaftler und Sachverständigen sagen eindeutig, der Krieg
bricht Völkerrecht und womöglich - wir werden es leider wahrscheinlich bald erfahren
(ähnlich wie in Afghanistan) auch die Genfer Kriegskonventionen.Das Prinzip der
Gleichheit aller Staaten - denn die USA nimmt sich das exklusive (Un)Recht, selber den
Angriff zu bestimmen - wurde gebrochen. Aber auch das Prinzip des Nichtangriffs ohne
vorheriges UN-Mandat ist dahin. Wir erleben gerade wie diese hohen völkerrechtlichen
Errungenschaften zu Grabe getragen werden - mit ihnen die vielen getöteten Iraker.
Und wie ergeht es den Muslimen hierzulande? Sie sind paralysiert,
verunsichert und haben Angst und verspüren bleischwere Trauer. Trauer um die vielen
Glaubensgeschwister und deren Familien, die in diesen Tagen ihr Leben lassen oder die
Angehörigen verlieren werden. Manch einer hat womöglich mehr Angst vor den sogenannten
"islamistischen Spontananschlägen", wie unser Innenminister zu berichten weiß.
Denn solche Anschläge - hoffen wir alle, dass es dazu nicht kommen mag - ziehen dann
innenpolitisch schmutzige islamfeindliche Debatten nach sich, die dann global auf dem
Rücken der Muslime ausgetragen werden, in das Feindbild Islam passen und die Vorurteile
ihm gegenüber weiter nähren. Ein Szenario, welches sich in unserem Lande, immer wieder
abspielt.
Im richtigen Moment appelliert heute der Zentralrat der Muslime bundesweit an die Muslime
und ruft seine Dachverbände dazu auf, sich an Demonstrationen und Kundgebungen friedlich
zu beteiligen, und mit den Mitteln, die uns der Rechtsstaat gewährt, den Unmut und die
Empörung gegenüber diesem Krieg zum Ausdruck bringen (siehe link).
Auch ein kleiner Trost bleibt uns in dieser schweren und schrecklichen Zeit. Man weiß
sich nicht nur moralisch im Recht, sondern auch solidarisch mit Abertausenden deutschen
Bürgern in diesem Land, die diesen Zorn und dieses Leid teilen und diesen Krieg nicht
einfach hinnehmen wollen.
Wir hoffen, dass dieser Zorn konstruktiv umgesetzt wird und diese Menschen - ob religiös,
humanistisch oder einfach durch die Menschlichkeit inspiriert - für die Achse des
Friedens auf die Straßen gehen. Für eine gerechte Welt, für eine friedliche Welt, für
eine bessere Welt, die dann allen Menschen gehören soll. Aiman A. Mazyek
Quelle: islam.de
@ Ekrem Yolcu |