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Feldzug der Fehlschläge

Von Hans Michael Kloth

Vor einer Woche begannen die Amerikaner mit ihren massiven Bombardements auf Bagdads Innenstadt. Doch was dann folgte, hatten sie sich anders vorgestellt: Die US-Panzerspitzen blieben im Sandsturm stecken, Guerillas attackieren die Nachschubrouten. Auch der erhoffte Volksaufstand ist ausgeblieben, nur wenige Iraker jubeln über die Invasoren. Eine Zwischenbilanz nach den ersten Tagen des Wüsten-Kriegs.

 

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Marines des 2. US-Marine Batallions marschieren bei Nasiriyah durch den Schlamm.

Ein "klinischer" Enthauptungsschlag gegen Saddam und seine Handlanger, ein rascher Durchstoß ohne große Kämpfe in die Hauptstadt Bagdad, glückselige Massen, die die fremden Truppen als Befreier willkommen heißen - so dachten sich die US-Planer den Feldzug im Irak. Nun stehen die Strategen des Pentagon nur eine Woche nach Beginn der Kämpfe ziemlich angestrengt da.

Statt Beifall für einen Blitzsieg zu ernten, muss US-Präsident George W. Bush sein Volk auf einen langen und schmutzigen Krieg einschwören. Die massiven Bombardements haben bisher ihre Wirkung verfehlt, der Widerstandswillen der Iraker ist ungebrochen. Die Militärs räumten kleinlaut ein, dass sie auch im Feld ihre Gegner unterschätzt hätten. Derweil mühen sich die PR-Strategen, den weltweiten Protest zu dämmen und die zunehmende Zahl ziviler Opfer klein zu reden.

Am tiefsten aber trifft die Menschen im Weißen Haus und draußen im Land, dass die Bilder jubelnder Iraker ausbleiben, dass die Soldaten nicht als Retter gefeiert, sondern selbst in den eroberten Gebieten allenfalls mit nüchternem Handschlag begrüßt werden. Die amerikanischen Generäle hatten bisher entscheidend darauf gesetzt, dass sich das Volk gegen den verhassten Diktator erheben und die Invasoren unterstützen würde. Doch es kam anders.

Nach wenigen Tagen harter Kämpfe steht fest: So haben sich die Amerikaner ihren Krieg nicht vorgestellt. Von Anfang an stand der Angriff für George W. Bush und seinen Generalstabschef Tommy Franks unter keinem guten Stern. Die Marschflugkörper, die in der Nacht zum vergangenen Donnerstag in Bagdad niedergingen, eröffneten den Konflikt mit einem lauten Knall, der sich schnell als erster in einer ganzen Serie von Fehlschlägen erwies. Die CIA hatte geglaubt, Saddam und seine Spitzenleute lokalisiert zu haben, doch der Diktator entging der hastig befohlenen Tomahawk-Attacke und präsentierte sich kurz darauf quicklebendig im irakischen Fernsehen.

 

AFP/DPA
Britische "Wüstenratte" mit einem gefangenen Iraker

Ein missglückter Auftakt, der Saddam psychologisch womöglich sogar in die Hände spielte. Denn die Amerikaner haben sich so sehr auf den Mann fixiert, dass sie schlecht aussehen, solange sie ihn nicht wirklich haben - fast egal, wie es sonst militärisch läuft. Saddam aber könnte zusehends zum Mythos für die arabischen Massen werden

Zudem kam das Angriffssignal zur Unzeit. Den Hauptschlag gegen Bagdad wollten Bushs Generäle eigentlich von Norden her führen. Wochenlang hatte die US-Diplomatie die Türken bearbeitet, US-Truppen ins Land zu lassen. Doch am Ende durchkreuzte das Parlament in Ankara die Aufmarschpläne; bereits vor türkischen Häfen kreuzende US-Truppentransporter mussten unverrichteter Dinge abdrehen. Erst in der vergangenen Nacht lief mit der Landung von 1000 US-Fallschirmjägern im kurdisch besetzten Nordirak "Plan B" an, die Errichtung einer Nordfront aus der Luft. Die Panzerkeile im Süden hatten sich da schon festgefressen.

Und fast wäre das Desaster im Norden komplett gewesen: Nur mit allergrößter Mühe konnten Präsident Bush und sein britischer Verbündeter Tony Blair die Türken davon abhalten, selbst mit Truppen in den Nordirak einzurücken. Dort hätten sich wohl kurdische Unabhängigkeitskämpfer gegen die Türken gestellt, statt gegen Saddam zu kämpfen - ein Krieg im Krieg, der den Koalitionären gerade noch gefehlt hätte.

 

AP
US-Truppen beim Vorstoß Richtung Bagdad - hier bei der Durchfahrt der Kleinstadt al Kifl.

Im Süden wird derweil die Kehrseite des schnellen Vorstoßes entlang Tigris und Euphrat sichtbar: Die Iraker nutzen die sträflich aufgerissene Flanke ihrer Gegner, um sich in Partisanentaktik Nachschubkonvois vorzunehmen, die über den Highway rollen wie Zielscheiben in einer Kirmes-Schießbude. Dass Saddams Milizen dabei auch in Zivil operieren und die Regeln des Kriegsvölkerrechts geflissentlich ignorieren, hat Briten und Amerikaner tief geschockt - etwas naiv, denn bisher gab es kein Verbrechen, dass dem Despoten nicht zugetraut wurde.

Nachdem am Mittwoch mehrere Dutzend Panzer aus Basra heraus einen Gegenangriff auf britische Einheiten unternommen hatten, verkündete das Central Command in Doha den Abschied von der Strategie des Enthauptungsschlages. Nun soll erst einmal der Süden des Landes sicher gemacht und die Nordfront aufgebaut werden. Bis zu 100 000 zusätzliche Soldaten sollen an den Golf verlegt werden. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte ursprünglich Saddam mit gerade 80 000 Mann insgesamt zu Leibe rücken wollen.

Denn auch das von Rumsfeld gewohnt großmäulig angekündigte "Shock and Awe"-Bombardement, das nunmehr am neunten Tag auf Bagdad niedergeht, hat trotz aller Wucht bisher nicht die erwartete Wirkung. Jedenfalls nicht auf das Regime: Unverdrossen gaben Saddams Spitzenleute in der vergangenen Woche Pressekonferenzen vor den laufenden Kameras der Weltmedien, mehrmals meldete sich auch der Diktator selbst über sein Staatsfernsehen zu Wort.

Unterdessen mussten die PR-Profis des Pentagon erklären, wie die Erzeugung von Furcht und Schrecken mit dem Anspruch "chirurgischer" Bombardierungen zur Schonung der Zivilbevölkerung in Einklang zu bringen sei - eine Frage, die noch lauter wurde, nachdem am Mittwoch offenbar zwei Cruise missiles auf einem Markt in Bagdad eingeschlagen waren und 14 Zivilisten getötet hatten.

Überhaupt stellen sich die eigentlich doch mediengestählten Amerikaner an der Propagandafront besonders ungeschickt an. Saddam dagegen konnte bisher einen Medien-Erfolg nach dem anderen verbuchen: Bilder von Auslands-Irakern etwa, die sich in Botschaften zu den Waffen melden, um für Saddam zu kämpfen, statt freudiger Begrüßungsszenen für die selbsternannten Befreier aus dem Westen.

Vergangenen Montag schockierte Bagdad die amerikanische Öffentlichkeit dann mit genau den Bildern, die das Pentagon um jeden Preis vermeiden wollte: Aufnahmen gefallener US-Soldaten und verängstigter GIs in irakischer Gefangenschaft - ein moralischer Tiefschlag für die Heimatfront, wo gerne das Klischee von "unseren Helden" gepflegt wird. Erst daraufhin versuchten die Amerikaner, die irakischen TV-Sender auszuschalten, bisher ohne durchschlagenden Erfolg.

Die PR-Gegenoffensive von Rumsfeld und Bush, die dem Irak Verletzung der Genfer Konvention vorwerfen, versickert derweil. Allzu viel öffentliche Empörung über die Zurschaustellung der gefangenen GIs will sich nicht einstellen. Schließlich hatten die Amerikaner ihrerseits die Medien großzügig mit Bildern gefangener Iraker versorgt. Und harte Belege für die Behauptung, dass Saddams Leute Kriegsgefangene hingerichtet hätten, bleiben die Alliierten bisher schuldig.

Wie viele Tote und Verwundete der Krieg bislang gefordert hat, weiß wohl niemand. Die Iraker sprechen von 350 Toten und 3650 verwundeten Zivilisten seit Beginn der Kampfhandlungen; über Verluste an Soldaten machen sie keine Angaben. Die Koalitionskräfte haben bislang den Tod von rund 50 Soldaten und Soldatinnen bestätigt, davon viele durch "friendly fire", Feuer der eigenen Truppen. Ob wenigstens diese Zahlen stimmen, lässt sich ebenfalls nicht sicher sagen.

Sicher dagegen ist, dass es noch sehr viel mehr Opfer werden. Amerika ist vielleicht unbesiegbar, aber nicht unverwundbar. Präsident Bush hat die Amerikaner in einer Rede vor dem Hauptquartier der US-Streitkräfte in Florida vorsorglich auf einen längeren Konflikt eingestimmt. Doch je länger der Krieg dauert, desto schwerer wird er zu rechtfertigen sein. Die mühsam zusammengestoppelte "Koalition" aus mittlerweile angeblich 45 Staaten (darunter vorwiegend Zwergstaaten wie El Salvador, Eritrea oder Estland), mit der die Amerikaner dem Eindruck eines imperialen Feldzuges entgegenwirken wollen, könnte am Ende zerfallen.

Vor allem an einem Widerspruch krankt die Sache der Amerikaner und Briten bisher: Ihre Hauptbegründung für den Angriff auf Saddam ist nach wie vor unbewiesen. Der Irak hat bislang keine Massenvernichtungswaffen eingesetzt. Die Invasoren haben auch noch keine Chemie- oder Biowaffen gefunden. Ein paar hundert erbeutete ABC-Schutzanzüge und Gasmasken halten derzeit als Beleg für die bösen Absichten des Iraks her; eine wenig überzeugende Bestätigung für die Unabdingbarkeit des Präventivschlages. Sollte Saddam nun zu einem Schlag mit C-Waffen ausholen wollen - er würde seinem Todfeind im Weißen Haus damit derzeit fast einen letzten Gefallen erweisen.

SPIEGEL ONLINE - 28. März 2003, 10:34
URL: 
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,242241,00.html
 

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