Kommentar: Das Schächten und das Mittelalter

25.01.2002:

Viel Aufregung um das Karlsruher Urteil in den Medien - aber auch die Notwendigkeit für eine neue Gesprächskultur. Von Abu Bakr Rieger


Das Karlsruher Urteil zum Schächten eröffnet den Muslimen endlich die Möglichkeit entsprechend ihrer Glaubensüberzeugung Tiere zu schächten. Das Urteil wurde von den Muslimen mit großer Erleichterung aufgenommen, zeigt es doch die weltanschauliche Neutralität der Bundesrepublik in Glaubensfragen. Grundsätzlich kann jede Religion gleichberechtigt in Deutschland gelebt werden, solange sie nicht mit anderen schützenswerten Grundrechten kollidiert.Im Kollisionsfalle muss abgewogen werden. Die Karlsruher Richter haben genau diese Maxime folgerichtig umgesetzt, indem sie von dem allgemeinen Grundsatz des Tierschutzes im Falle von Juden und Christen Ausnahmen zulässt.Hierin etwa eine Auflösung der abendländischen Wertvorstellungen zu sehen grenzt schon an schlichter Schizophrenie.

Darüberhinaus geht wissenschaftliche Debatte über artgerechte, oder wie wir sagen, schöpfungsgerechte Tierhaltung natürlich weiter. Es ist wissenschaftlich zumindest umstritten ob das "Schächten" nicht sogar die Tiere weitaus schonender behandelt als alternative Schlachtmethoden. Ein einfacher Besuch in einem der europäischen Schlachthäuser relativiert hier jede Polemik. Nach Überzeugung der Muslime sollte gerade im Umgang mit dem Tier der Mensch seine Rückbezogenheit und Dankbarkeit gegenüber der Schöpfung selbst nicht aus den Augen lassen. In Zeiten technischer Massentierhaltung, BSE und industrieller Versorgungsindustrie hilft auch das polemische Begriffspaar "Fortschritt gegen Mittelalter" nur noch begrenzt.Man denke nur an die Bilder tausender verbrannter Rinder in England um keiner Fortschrittseuphorie oder Fortschrittsideologie zu verfallen. Muslime und Nichtmuslime sitzen als Verbraucher insoweit im gleichen Boot und haben allen Grund miteinander ins Gespräch zu kommen.

"Schächten führt ins Mittelalter" ist ein unpassender Slogan und birgt die Gefahr Juden und Muslime als rückwärtsgewandt und antiquiert zu diffamieren. Diese Losung, man könnte auch sagen Verschwörungstheorie, soll auch immer wieder suggerieren, dass Muslime in Deutschland nichts anderes im Sinne haben als die verfassungsrechtliche Ordnung aufzulösen.Es ist aber evident, dass dafür keinerlei Bestrebungen erkennbar sind. Und wenn doch ? Dann sind die gleichen Richter in Karlsruhe aufgerufen genau diese Bestrebungen oder Organisationen zu unterbinden.

De facto zeigt aber gerade dieses Urteil, dass die Muslime in Deutschland sehr wohl verfassungskonform ihre muslimische Alltäglichkeit ausleben können. Ebenso sind soziale (Stiftungen), ökonomische (Handel, Märkte)oder spirituelle Einrichtungen (Moscheen) des Islam jederzeit denkbar.Es ist auch legitim, dass sich Muslime in Deutschland organisieren um die langjährige Forderung des Staates nach einem Ansprechpartner auf islamischer Seite nachzukommen. Wenn diese Vertretungen - soweit sie können - nun gemeinsam entsprechende Vorkehrungen für eine geordnete Abwicklung des Schächtens treffen, ist dies schlichte Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben.

Weder der Islamrat noch der Zentralrat haben je für sich in Anspruch genommen alle Muslime in Deutschland zu vertreten. Ganz offensichtlich fördern die Räte auch die lokalen, dezentralen und regionalen Organisationsformen der Muslime. Beide Räte sind ihrem Selbstverständnis nach keine politische Organisationen sondern schlicht und einfach bestrebt, die rechtlichen Interessen des Islam in Deutschland gegenüber der Gesellschaft zu vertreten. Darüberhinaus versuchen die Räte die ganze Spannbreite des islamischen Lebens in Deutschland zu integrieren. Das ist schwierig und mühsam zugleich. Da der Islam in sich keine Kultur darstellt, kann es dabei natürlich Ziel sein den Islam zu einer kulturell-europäischen Ausprägung und damit zu einer Bereicherung der deutschen Gesellschaft auszuformen.

Zu diesem Thema meldet sich inzwischen schon beinahe rituell der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi zu Wort. Tibi der seine Zuhörer gerne mit der Aussage rührt "sein Leben jederzeit für die Demokratie zu lassen " ist - durchaus nachvollziebar - von Erfahrungen und Traumatas seines arabischen Heimatlandes geprägt. In der Sache ist er jedoch oft polemisch und verletzend. Seine einfache öffentliche These: alle Ratsmitglieder sind Islamisten (wie ja auch Usama bin Ladin), gefährlich und bitteschön auszugrenzen. Damit ordnet er die komplexe islamische Gemeinschaft, unterschiedlichste Erfahrungshorizonte und Schicksale, tausende bosnische, deutsche, türkische und arabische Muslime(innen) einer recht einfachen - gefährlich einfachen - Gleichung unter.

So sind zum Beispiel die dem Genozid in Bosnien entflohenen Muslime für Tibi wohl genauso "Islamisten" wie die von Bassam Tibi besonders verhassten türkischen Organisationsmitglieder. Eine genaue Definition was ein Islamist eigentlich ist blieb uns Tibi bisher schuldig. Mit Verlaub ist aber anzumerken, dass mit solchen vereinfachenden Thesen sich vielleicht Bücher im Karstadt verkaufen oder Auftritte vor Fachpublikum im "demokratischen" Usbekistan oder Äqypten wirksam vermarkten lassen - nicht jedoch eine sachliche und rationale Debatte in Deutschland geführt werden kann. Mehr noch: es ist doch bedenklich, wenn ein deutscher Universitätsprofessor derart zur Polarisierung der Gesellschaft, statt zur inhaltlichen Differenzierung der Meinungsbildung beiträgt.

Die Bedenken auch durch inhaltliche Grobheiten verstärkt. Dem Göttinger Denker folgen demnach nur eine kleine Schar von Muslimen: so ist Tibis "Lieblingsschocker" in der Öfentlichkeit die Schariat werde in Deutschland "unbemerkt" etabliert ein alter Hut, denn jeder anatolische Arbeiter hat seit den 60er Jahren mit seinem Gebet und seiner Hinterhofmoschee bereits einen Aspekt der Schariat etabliert. Dennoch gibt es keine Zweifel am absoluten Respekt der absoluten Mehrheit der Muslime gegenüber Recht und Ordnung: wer daran zweifelt wird es schwer haben mit entsprechenden konkreten Beispielen aufzuwarten. Mit banalen Schlagwörtern ist dem Phänomen des Zusammenlebens von Muslimen und Nicht-Muslimen in Europa jedenfalls wirklich nicht beizukommen.

Bleibt zu hoffen, dass sich Bassam Tibi einmal tatsächlich mit Muslimen zu einem einfachen Gespräch herabgibt und man gemeinsam herausfinden könnte was es denn mit seinem "Euro-Islam" auf sich hat. Unser gesellschaftliches Argument hierbei ist klar: ein "Euro-Islam" der den Islam gar nicht mehr praktiziert wird wohl kaum gegenüber Muslimen integrativ sein können und deswegen praktizierende Muslime letzlich ausgrenzen müssen. Mangels Akzeptanz wird dann aber die zu Recht gewünschte kulturell-europäische Ausprägung des Islam in Deutschland überhaupt nicht gefördert.

Halten wir fest: Kritisches Nachfragen über Intention, Verständnis und Absichten der Muslime in Deutschland sind selbstverständlich legitim. Ein offenes Gespräch mit dem Islam sollte aber mit nachvollziehbaren Begriffen und Definitionen geführt werden. Wenn Gerichte in den seltenen Konfliktfällen hierbei regulativ eingreifen ist Toleranz von allen Seiten, von Politik und Medien gefragt. Eine pauschale Kategorisierung verhindert die notwendige Unterscheidung zwischen konstruktiven und destruktiven Kräften in Deutschland.Es gibt keinen einsichtigen Grund, warum die Existenz von Muslimen in Deutschland die europäische Gesellschaft nicht bereichern sollte.

Quelle: Islamische Zeitung

@ Ekrem Yolcu

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