Paris: Rigorismus und Kulturkampf - Alles Religiöse unter Quarantäne?
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Kopftuchverbot wird die fehlende Integration nicht ersetzen können - Kommentar
Marianne kann seit Dienstag wieder gut schlafen: Die französische Republik hat ein Stück
Stoff verboten. In staatlichen Klassenräumen hat das Kopftuch künftig nicht nur auf
Lehrer-, sondern auch auf Schülerköpfen nichts mehr zu suchen. Wer demnächst dennoch
das Haar bedeckt, fliegt rigoros von der Schule. So einfach geht das in Frankreich unter
Berufung auf die heiligen Werte der weltlichen Republik. Dabei offenbart die Annahme des
Kopftuch-Gesetzes in der Pariser Nationalversammlung am Dienstag vor allem eins: Wer mit
derartiger Wucht zuschlägt, ist sich seiner selbst nicht mehr sicher. Frankreichs
strikter Laizismus, auf das sich das Land soviel zugute hält, ist längst ein wankender
Pfeiler.
Mit diesem Gesetz leistet Frankreich einen Offenbarungseid. Denn wer - wie es hierzulande
geschieht - den Kopftuchkonflikt zu einem Teil des langen Machtkampfes zwischen den Werten
der Demokratie und dem Fundamentalismus verkürzt, reduziert die jungen Französinnen mit
islamischem Hintergrund gleichsam zur 5. Kolonne Osama bin Ladens, ganz so, als hätten
die jungen Frauen nie die weltlichen Schulen der Republik durchlaufen. Wer einfach
verbietet, muss nicht fragen, warum der Islam heutzutage für einen Teil der eigenen
Jugend eine höhere Anziehungskraft besitzt als die viel beschworenen Werte der Republik.
Wer sich die Mühe machte zu suchen, fände Antworten: Ungeachtet seiner Herkunft Franzose
zu werden - diese Idee des Citoyen, die seit der Revolution das Selbstverständnis der
französischen Gesellschaft bestimmt, ist in den Gettos der französischen Vorstädte
weithin verblasst, hat in den Cités keinen Nährboden gefunden, um sich auf Dauer fest zu
verwurzeln. Es sind die Jungen, nicht die Alten, die in aller Öffentlichkeit zu Schleier
und Kopftuch greifen, sich Allah und dem Propheten näher fühlen als Voltaire und
Diderot.
Das französische Rezept, alles Religiöse unter Quarantäne zu stellen, hat hierzulande,
anders als in Deutschland, eine lange Tradition. Die strikte Trennung von Staat und Kirche
- seit knapp 100 Jahren die Basis des modernen Frankreich - war das Ergebnis eines
Kulturkampfes, der staatlicherseits mit aller Härte geführt wurde. Ähnlich
kompromisslos will sich Frankreich auch heute wieder zeigen, wenn das Religiöse erneut in
den öffentlichen Raum drängt. Das Kopftuch ist dabei nur das wichtigste Symbol.
Ein wenig mehr Gelassenheit wäre Frankreichs Politik zu wünschen gewesen, zumal sich die
bestehenden Regelungen gegen Kopftücher und Schleier nach Meinung jener, die täglich
damit zu tun haben, als ausreichend und belastbar erwiesen hatten. Das neue Gesetz wird am
Leben in den Quartieren der Vorstadt-Massensiedlungen wenig ändern, dient mehr der
Beruhigung der eigenen Wählerklientel. Denn das hinter der hastigen Gesetzgebung kurz vor
den wichtigen Regionalwahlen im März der gespenstische Schatten Le Pens lauert, ist
unübersehbar. (aus Bonner Genrealanzeiger/ Von Joachim Rogge, Paris)
Quelle: Islam.de
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