Dr. Peter Scholl-Latour in Bonn: "Den Diskurs Europas mit dem Islam wiederbeleben ..."

Dr. Scholl-Latour spricht zur Eröffnung der Räumlichkeiten des  Islamrats in Bonn

 

Im Rahmen der Eröffnung neuer großzügiger Räumlichkeiten des Islamrats in Bonn führte der Altmeister des politischen Journalismus, Dr. Peter Scholl-Latour, in das Verhältnis Europas zum Islam ein.

Scholl-Latour zeigte sich a uf der gut besuchten Veranstaltung als Kenner der politischen und geschichtlichen Einbettung diese Phänomens. Die eigentliche intellektuelle Stärke des Vortrags lag in dem erfreulichen Umstand, daß der Vortragende sich der gängigen Klischees um den politischen Islam enthielt. Der weitbekannte Journalist kann hierbei auf die praktischen und existentiellen Erfahrungen unzähliger Reisen in islamische Regionen zurückgreifen. Demzufolge hat sich auch Scholl-Latour einen durchweg persönlichen und existentiellen Zugang zum Islam erschlossen. Vor allem die persönlichen Begegnungen Scholl-Latours mit den Gläubigen Tschetscheniens hatten ihn nachhaltig beeindruckt. Der Schriftsteller Scholl-Latour hat durch seine Bücher viele Leser in das  faszinierende Thema "der geopolitischen Verortung des Islam eingeführt. Im Verlauf seiner Ausführungen schreckte Scholl-Latour auch nicht vor teilweise unbequemen Analysen und Einsichten des oft groben Umgangs der westlichen Welt mit den Muslimen zurück. 

Scholl-Latour sah hierbei grundsätzlich das historische Verhältnis von Christen und Muslimen weitaus differenzierter und fruchtbarer, als es das heutige durch Machtpolitik gekennzeichnete Verhältnis oft noch zuläßt. Im Gr unde seien die in die Defensive gedrängten Christen - angesichts eines nihilistischen und ideologischen Zeitalters - von der dogmatischen Unerschrockenheit des Islam nach wie vor fasziniert. Gerade wenn man den klaren theologischen Unterschied zwischen Christentum und Islam nicht zu verleugnen versuche, sei, in den Augen Scholl-Latours, ein neues fruchtbares Gespräch durchaus möglich. Nicht zuletzt die europäische Philosophie habe bereits diesen Austausch auch immer wieder gesucht. Der arabische Nationalismus und Sozialismus der Moderne, sowie der türkische Kemalismus hätten im Ergebnis die Fortführung des durchaus fruchtbaren Austausches von Muslimen und Nicht-Muslimen intellektuell verhindert. Heute sei eine authentische Wahrnehmung des Islam erschwert, da der Islam in die Feindeslinien einer groben ökonomischen Erschließung der Welt geraten sei.

In seinem geschichtlichen Abriß zeigte Scholl-Latour die facetten- und spannungsreichen Beziehungen des Abendlandes mit dem Islam auf. Das mittelalterliche Verhältnis Kaiser-Papst im Rahmen der christlichen Doktrin der Trinität zei ge bereits den fundamentalen Unterschied der großen Buchreligionen an. Die heute vielbeachteten Kreuzzüge relativierte Scholl-Latour bezüglich ihrer geschichtlichen Bedeutung für das Verhältnis von Christen und Muslimen. Im Einzelnen führte Scholl-Latour aus: Nach den großen Kriegen gegen die Sarazenen durch Karl den Großen bewegt sich das Abendland unaufhaltsam auf dem Weg der Säkularisierung. Die Reformation Luthers drängt das Religiöse endü ltig aus dem politischen Alltag der staatlichen Wirklichkeit. Diese (säkulare) Idee der Gewaltenteilung bestimmt die Verfassungsgeschichte des Abendlandes bis zum 19. Jahrhundert. Mit der Verdrängung des Christentums aus der politischen Arena ve rschärft sich zunehmend die ideologische Auseinandersetzung der Atheisten mit dem Islam.  Die politische Realität des Islam gründet sich bis heute in der Gestalt des Propheten Muhammad als politische, ökonomische und religiöse Einheit. Der Prophet ist politischer Führer und gleichzeitig erfolgreicher Feldherr u nd empfängt mit dem Qu'ran ein unumstritten exakt überliefertes Gesetzeswerk. Der Qu«ran mit seinen politischen und ökonomischen Anweisungen ist damit zeitlose Grundlage des umfassenden islamischen Nomos. Dieser umfassende Nomos ist seinen Fundamenten nach zunächst fern der abendländischen Entwicklung hin zum völkisch-territorialen Nationalstaat. Aber der politische Islam hat sich seit Ibn Rushd immer wieder mit der griechischen politischen Philosophie und Aristoteles, dem Begründer der Politikwissenschaft, inhaltlich auseinandergesetzt.

Scholl- Latour wies aber darauf hin, daß seiner Ansicht nach der Islam der Neuzeit seine adäquate politische Form im Grunde nie gefunden habe. Selbst Khomeini, so Scholl-Latou r augenzwinkernd, habe dieser These lächelnd zugestimmt. 

Nach den Kreuzzügen und Auseinandersetzungen des Mittelalters und dem Imperialismus der Neuzeit sei der heutige politische Diskurs um den Islam von dem globalen Kreuzzug Amerikas für die "amerikanische Zivilisation" bestimmt, der zu nehmend im Islam seinen Hauptgegner ausmache. Diese Zivilisation werde vom japanischen Politologen Fukojama auf den einfachen Nenner "Demokratie und MarktwirtschaftÒ gebracht. Beide Begriffe seien jedoch im 20. Jahrhundert durchaus fragwürdig ge worden. Die parlamentarische Demokratie sei längst in den Händen eines kapitalabhängigen Medienmonopols, die freie Martwirtschaft bringt heute, so Scholl-Latour süffisant, "nicht etwa den freien Handel, wohl aber das Monopol hervor. Überhaupt seien die vordergründig ökonomischen Interessen Amerikas immer oberflächlicher durch eine einseitige Rhetorik, wie im Falle Tibets, um die Menschenrechte verdeckt. Geht es um ökonomische Notwendigkeiten, wie den Pipe linebau durch Afghanistan, schrecke Amerika auch vor der Finanzierung der Taliban keineswegs zurück und dies, so Scholl-Latour, sei "der eigentliche Skandal". Nun dienten Amerika die, offensichtlich außerhalb der islamischen Gesetzlichkeit agierenden Taliban, zur weltweiten Diffamierung des Islam.   Diese polemischen Auseinandersetzungen, hintergründig von geopolitischen Interessen bestimmt, dominierten auch die aktuelle Diskussion um den Islam. Hierher gehöre, so Scholl-Latour weiter, auch die willkürliche Bombardierung Sudans und die gleichzeitige Weigerung Amerikas, eine unabhängige UN-Untersuchungskommission in den Sudan zu senden. Im Völkerrecht habe sich daher eine äußerst fragwürdige Identität von Macht und Recht durchgesetzt. Der ebenfalls vom CIA zunächst finanzierte und untertstützte Bin Ladin sei nun willkommener Aufhänger einer banalen Dialektik von Gut gegen Böse. Dies alles mache eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Islam bewußt unmöglich.

In Europa habe sich die westliche Außenpolitik letztendlich darauf konzentriert, einen islamischen Staat in Europa zu verhindern. Der Dayton-Vertrag, so die nüchterne Feststellung Scholl-Latours, "sei vor allem abgeschlossen worden , um einen islamischen Staat in Europa zu verhindern." Der Kosovo-Konflikt und seine Folgen, sei, so Scholl-Latour, ein weiterer Skandal der passiven EU-Außenpolitik. Im Übrigen sei der Pazifismus Rugovas mitverantwortlich, daß das legitime Interesse der Bevölkerungsmehrheit der Albaner im Kosovo zur Zeit des Bosnienkriegs nicht durchgesetzt wurde.

Heute sei längst klar, daß ein echter Frieden auf dem Balkan nicht auf der Grundlage überkommener Grenzverläufe manifestiert werden könne. Gerade die Deutschen müssten aber für das Wiedervereinigungsbestreben der Albaner durchaus Sympathie und Verständnis aufbringen. 

Zur Lage der Muslime in Deutschland, die nach wie vor von rechtlicher Benachteiligung geprägt sei, rief Scholl-Latour zu einer respektvollen Koexistenz unterschiedlicher Lebensweisen auf. Alleine am Beispiel Frankreich zeige sich bereits das Faktum, daß eine starke Präsenz des Islam in Europa besteht. Die Lösung könne angesichts dieser Lage weder eine Ghettoisierung noch ein stärkerer Assimilierungsdruck sein. Scholl-Latour räumte schlußendlich ein, daß er allerdings bezüglich dem Schicksal der Muslime in Europa kein Patentrezept anzubieten habe. Dr. Scholl-Latour lud darufhin zu einer Diskussion um das Thema ein. Er sei sich bewußt, so Scholl-Latour, daß es viele Meinungen zu diesem Thema gebe, er habe selbst jedoch vor allem das Thema möglichst objektiv darstellen wollen.

Der Vortrag wurde von den anwesenden Gästen auch in der Diskussionsrunde positiv aufgenommen. Viele Teilnehmer sahen in dem Vortrag durchaus einen wichtigen Ausgangspunkt für einen neuen politischen Diskurs um den Islam. Wichtig sei es, so ein Teilnehmer, letztendlich einen eigenen europäischen Weg der Auseinandersetzung mit dem Islam zu definieren. Der Begriff  "Gerechtigkeit" werde  heute durch Muslime in den Diskurs zurückgebracht. Zu diesem aktuellen Diskurs gehöre auch, die eigene politische Legitimität Europas angesichts der Ursachen und Folgen der Krisen der Welt kritisch zu beleuchten. Viele Europäer zweifeln inzwischen die Interessenidentität Europas und der USA in diesen Fragen an. Eine  solche n eue Auseinandersetzung Europas mit dem Islam, ohne die einhaltliche Bevormundung der USA, wäre durchaus in   der europäischen Tradition.

Islamische Zeitung, 23. Ausgabe

@ Ekrem Yolcu

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