Etymologische Betrachtung: Die Araber
von Rabia Mabkhout

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Die Araber - ein Begriff, von dem heute erfreulicherweise immer häufiger die Rede ist, vor allem dann, wenn an ihr grossartiges Erbe auf den Gebieten der Mathematik, der Astronomie, der Medizin, der Baukunst und natürlich der Religion erinnert wird.

Ibn Khaldun (Geschichtsschreiber, geb. in Tunis), Ibn Battuta (Reisender, geb. in Tanger), Ibn Ruschd (Jurist, geb. in Cordoba), Ibn al-Haitham (Naturforscher, geb. in Basra) - diese herausragenden Männer waren alle Araber, aber in verschiedenen Ländern geboren. Daran wird deutlich, dass die Araber eine Nation, ein Volk sind, aber nicht nur einer Nationalität angehören.

Ein Araber kann Staatsangehöriger sein von Saudi-Arabien, von Jemen, vom Irak, von Sudan, von Libyen, von Tunesien, von Algerien, Marokko, Kuwait, Syrien oder Jordanien. Auch wenn manche Länder das Wort "arabisch" sogar in ihre offiziellen Bezeichnungen aufgenommen haben, können ihre Bürger nicht einfach und ohne weiteres als Araber bezeichnet werden, auch wenn wohl für sie durch die arabische Muttersprache ein Zusammengehörigkeitsgefühl besteht. Vermutlich fühlt sich ein arabischsprechender Jude aus dem Irak oder ein arabischsprechender Christ aus Ägypten nicht unbedingt als Araber. Was verbirgt sich nun hinter der ethnischen Bezeichnung Araber? Bei einem Treffen arabischer Staatsmänner vor etlichen Jahren wurde der Begriff "Araber" wie folgt definiert: "Araber ist ein jeder, der in unserem Land lebt, unsere Sprache spricht, in unserer Kultur aufgewachsen und auf unsere ruhmreiche Vergangenheit stolz ist." Laut einer Definition von Sir Hamilton Gibb sind Araber all jene, für die die Mission des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm, und die Erinnerung an das Arabische Reich das zentrale historische Faktum sind und die darüber hinaus die arabische Sprache und ihr kulturelles Erbe als ihre gemeinsame Wurzel betrachten und an ihr festhalten.

Wie wir an diesen beiden Definitionen sehen, macht allein die Sprache noch keinen Araber. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Bezeichnung Araber von ihrer ursprünglichen eng umrissenen Bedeutung 'Beduinen der nordarabischen Steppengebiete', bis hin zu der heutigen Bedeutung, deren Rahmen viel weiter gespannt ist und sich auf Nationen, welche durch ihre gemeinsame Sprache, gemeinsame Kultur, gemeinsame Territorien und ihrem Streben nach Einheit miteinander verbunden sind, erstreckt. Damals wie heute lässt sich dieser Begriff niemals ganz exakt eingrenzen, was nicht zuletzt auch für die Sache spricht, vor allem dann, wenn mit dem Begriff Araber auch Islam assoziiert wird, ist der Islam doch alhamdulillah grenzüberschreitend und nicht auf ethnische Gruppen begrenzt.

Die Herkunft des Wortes "arabisch" ist trotz vieler nachvollziehbarer sprachwissenschaftlicher Erklärungen noch nicht endgültig geklärt. Einige Philologen sind der Meinung, dass das Wort von einer semitischen Wurzel mit der Bedeutung 'Westen' abzuleiten ist, das zum ersten Mal von den Bewohnern Mesopotamiens auf die Völker westlich des Euphrattals angewandt worden ist. Andere Wissenschaftler bringen das Wort mit dem Nomadentum in Verbindung, indem sie einen Zusammenhang mit dem hebräischen Wort arabha für düsteres Land, Steppenland und dem hebräischen Wort erbh für vermischt und daher unorganisiert sehen und auch die Ableitung von der semitischen Wurzel abhar für reisen, weiterziehen nicht ausschliessen. In früheren Zeiten verwendeten die Araber selbst das Wort zur Unterscheidung der Beduinen von den Stadt- und Dorfbewohnern. Nomaden (rohall Pl.) sind umherziehende Hirtenstämme, können aber auch als Beduinen bezeichnet werden; Beduinen (bedu Pl.) sind Land- und Dorfbewohner. Als die Assyrer, sie lebten im Norden des heutigen Irak, im 9. Jahrhundert auszogen, die Staaten der östlichen Mittelmeerwelt zu erobern, unterstützten die Araber ihre Handelspartner in Syrien, Babylonien und Phönezien. Als König Salmanassar II. bei Qarqar auf das Heer der Bundesgenossen traf, kämpfte auf syrischer Seite ein Scheich namens Gindibu mit tausend Kamelreitern der Aribi, so dass das Wort "Araber" im assyrischen Siegerbericht zum ersten Mal erwähnt wird. Von dieser Zeit an finden wir zahlreiche Inschriften, die auf Aribi, Arabu oder Urbi hinweisen und von deren Leben in der Wüste zeugen. Die Araber im Alten Testament können mit den Aribi gleichgesetzt werden.

Um etwa 530 v. Chr. erscheint in persischen Keilschrift-Dokumenten die Bezeichnung Arabaja.

In klassicher Zeit erwähnten bereits Aischylos und Herodot Arabien und dehnten die Begriffe Arabien und Araber auf die gesamte Halbinsel einschliesslich dem Süden und über das Rote Meer hin bis zur ostägyptischen Wüste aus, dem Raum, in dem bereits die Aribi nomadisierten und der von semitischsprachigen Völkern bewohnt wurde. Jetzt taucht auch zum ersten Mal die Bezeichnung Sarazene auf. Ursprünglich der Name eines Wüstenstammes im Sinai, wird er nun allgemein in der Bedeutung 'Nomaden' benutzt, während er in Byzanz und im mittelalterlichen Abendland zunächst als Bezeichnung aller muslimischen Völker und später aller Muslime der Mittelmeerwelt diente.

Der erste arabische Gebrauch des Wortes 'Araber' findet sich in frühen südarabischen Inschriften, dem Süden, der als Arabia Felix Geschichte machte. Araber bedeutet in ihnen Beduine und wird im Unterschied zur sesshaften Bevölkerung verwendet. Im Norden erscheint das Wort zum ersten Mal in der auf arabisch, aber in nabatäisch-aramäischer Schrift verfassten aus dem vierten Jahrhundert n. Chr. stammenden Grabinschriften von Namara, in der von den Heldentaten und dem Tod von Imru al Kais, dem 'König aller Araber' erzählt wird, dessen Herrschaft sich auf Nord- und Zentralarabien erstreckte. Diese in arabischer Schrift verfasste Inschrift ist eines der ältesten Zeugnisse jener nordarabischen Sprache, aus der sich das klassische Arabisch entwickelt hat. Seit dem Siegeszug des Islam gibt es zahlreiche Informationen zum Gebrauch des Wortes in Zentral- und Nordarabien.

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"Wir haben keinen Gesandten geschickt, ausser in der Sprache seines Volkes, damit er ihnen Klarheit gibt" (Sure 14, Vers 4); der Koran ist "vom Herrn der Menschen in aller Welt herabgesandt ... in deutlicher arabischer Sprache" (Sure 26, Vers 192, 195).

Für Mohammed, Friede sei mit ihm, und die Menschen seiner Zeit waren die Araber die Beduinen der Wüste, welche die arabische Lebensform und Sprache unverfälschter als alle anderen beibehalten haben. Im Koran wird das Wort ausschliesslich in dieser Bedeutung verwendet und bezieht sich nicht auf die Bewohner Mekkas, Medinas oder anderer Städte, wohingegen die Sprache dieser Städte wie die des Korans als Arabisch bezeichnet wird.

Mit der Ausbreitung des Islam wurde zugleich auch der Name der Araber in Asien, Europa und Afrika bekannt, und die Geschichte der Menschen wurde um ein bedeutendes Kapitel reicher. Das von den arabischsprachigen Völkern, gleich ob nomadisch oder sesshaft lebend, neu gegründete Weltreich erstreckte sich von Zentralasien über den Mittleren Osten und Nordafrika bis an den Atlantik und später bis nahe der Grenze zum Frankenreich. Durch den Glauben an Allah gestärkt und geeint, lebten die Araber als Herrscher dieses jungen Reiches als Minderheit inmitten einer bunten Vielfalt von Völkern unterschiedlicher Herkunft, Sprache und Religion. Es verwischten nun auch die Grenzen zwischen den einzelnen Stämmen und zwischen den Stadt- und Landbewohnern, jetzt war es wichtiger, die Aufmerksamkeit auf die Grenzen nach aussen zu lenken. In dieser Zeit wurde der Begriff Araber auf all jene angewandt, die Arabisch sprachen, Mitglieder eines arabischen Stammes waren und selbst oder durch ihre Vorfahren aus Arabien stammten. Durch die Eroberungen gab es in dem neuen Weltreich auch Perser, Syrer, Ägypter und andere Völker, und der Begriff Araber diente zur Abgrenzung und wurde auch im christlichen Europa zur Bezeichnung der neuen Herrscher benutzt. Am Anfang der Eroberungen war Arabisch die Sprache des Militärs, durch das Ende der Eroberungszüge und den wirtschaftlichen Aufschwung wechselte zwar die Herrscherschicht, doch die offizielle Sprache blieb in allen Bereichen Arabisch. Inzwischen hatte sich auch die ethnische Bedeutung des Wortes Araber gewandelt. Mit der Expansion des Islam breitete sich parallel dazu auch die arabische Sprache aus. Durch die Ansiedlung der Araber in den Provinzen wichen die alten Sprachen der neuen arabischen, die zur wichtigsten Amtssprache wurde. So war sie zum Beispiel in Spanien die Sprache der Muslime, Juden und Christen gleichermassen. Das Arabische breitete sich als gesprochene Sprache in Form von Dialekten aus, die von lokalen Umgangssprachen beeinflusst wurden. Bereits Ibn Khaldun schreibt in seinem Werk al-Muqaddima davon, "dass sich die Dialekte nach der Sprache des Volkes oder der Rasse richten, die die Stadt erobert oder gegründet haben". Weiter schreibt er, dass deshalb "die Dialekte, die in allen grossen islamischen Städten gesprochen werden, arabische sind, wenn auch die arabische Sprache der Mudar (Name für die nordarab. Stammesfamilien) durch die Eroberung fremder Völker verdorben wurde".

Als Schriftsprache breitete sich Arabisch in einer Form aus, deren Einheit und Kontinuität im Koran - dem in arabischer Sprache von Allah gesandten Buch - bewahrt wurde. Als gesprochene Sprache stiess Arabisch im Iran an eine Grenze, denn dort sprach man weiterhin Persisch. Als Schriftsprache dagegen gab es für Arabisch in der Welt des Islam keine Grenzen. Auch im Iran, als im neunten Jahrhundert das Persisch in seiner islamisierten Form als Literatursprache aufkam, blieb Arabisch weiterhin die Hauptsprache der Theologie und Jurisprudenz.

Durch die Herrschaft der Osmanen ab dem 10. Jahrhundert verschwammen die Grenzen zwischen den Nachkommen der arabischen Einwanderer und den arabisierten Bewohnern immer mehr. Als die Blütezeit der Abbasiden, in der sich Araber und Nichtaraber zu einer gemeinsamen muslimischen Gesellschaft zusammengefunden hatten, sich ihrem Ende zuneigte, nahm die Bezeichnung Araber vor allem in westlichen Kreuzzugschroniken wieder ihre einstige eher soziale als ethnische Bedeutung Beduine an, während die Muslime im Nahen Osten als Sarazenen bezeichnet wurden.

Das wichtigste gesellschaftliche Einteilungsmerkmal war der Glaube. Neben den verschiedenen Minderheitsreligionen gab es und gibt es die grosse islamische Glaubensgemeinschaft oder Nation, die Umma, die nicht auf Verwandtschaft, sondern auf Religion gegründet ist. Ummat Al Islam ist eine Gemeinschaft der Menschen, der Völker und der Staaten, die sich in ihrem Glauben, in ihrem Gottesdienst, in ihrem privaten und öffentlichen Handeln unter das im Koran geoffenbarte Gesetz stellen. Als über viele Jahrhunderte hinweg im wesentlichen die Osmanen die herrschende Gesellschaftsschicht der Umma bildeten, will man mit der Bezeichnung "Söhne oder Kinder der Araber" (Abna Al Arab oder Aulad Al Arab) die arabischsprachigen Stadtbewohner und Bauern von der osmanischen Herrschaftsschicht einerseits und den Nomaden oder "echten" Arabern andererseits unterscheiden. In der arabischen Umgangssprache haben sich diese Bedeutungen im wesentlichen bis heute nicht verändert. Die zunehmende Präsenz und der wachsende Einfluss europäischer Staaten in diesen Ländern führt zur Ausbreitung des europäischen Begriffs der Nation. Dieser Nationalgedanke könnte durch seine Unvereinbarkeit mit der islamischen Weltanschauung und seinen imperialistisch gefärbten Elementen eine Renaissance des Arabertums (Assahwa) und eine arabische Nationalbewegung auslösen. Die islamische Weltanschauung geht von der Einheit Allahs (tauhid), der Loyalität zu Ihm und der Unteilbarkeit der Umma aus, dieser universalistische Anspruch verträgt sich nicht mit dem Nationalismus im europäischen Sinn, da dieser die Welt auf ein Konzept von Ethnizität und Territorialität reduziert und Loyalität nicht Allah, sondern dem Staat gegenüber verlangt. Wenn sich auch manche arabisch-sprechenden Völker zwar als Muslime aber nicht als Araber oder als Araber, aber nicht als Muslime verstehen, so sind meiner Meinung nach Arabertum und Islam seit langem so eng miteinander verschmolzen und als Synonyme benutzt worden, dass es vielleicht nicht ganz falsch ist, unter dem Begriff Araber, der, wie wir gesehen haben, auch nicht ganz exakt abgesteckt und erklärt werden kann, Muslime zu verstehen und in diesem Sinne von der arabischen Einheit zu träumen.

Rabia Mabkhout

Quelle: islamische Zeitung , 33. Ausgabe

@ Ekrem Yolcu

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