Kunst
im Islam
Kunsthandwerk am Beispiel der Koranständer - Von
Rabia Mabkhout
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Bismillah Kunst im Islam will nicht das Werk eines Künstlers hervorheben, sondern sie will auf die Schönheit und Vollkommenheit der Schöpfung Allahs aufmerksam machen. Islamische Kleinkunst, seien es Teppiche, Fayencen oder Koranständer zeugen davon. Ich habe Koranständer gewählt, um anhand dieser die Besonderheiten der islamischen Kunst aufzuzeigen. Es gehört zur Erziehung, Koranexemplare in besonderen Behältern oder Tüchern und an erhöhter Stelle aufzubewahren und ihn niemals auf den Boden zu legen. Der Koranständer leistet hier gute Dienste. Die meist aus Holz gearbeiteten Faltpulte für den Koran, die einem Kamelsattel sehr ähnlich sehen, sind in der islamischen Welt weit verbreitet. Sie dienen als Lesehilfe und sind in erster Linie zum Studium orthodoxer Lehrschriften bestimmt. Diese in der arabischen Sprache rahl (Kamelsattel) oder kursi (Thron) genannten Ständer, werden aus einem Bohlenstück ohne zusätzliche Scharniere oder nachträglich eingefügte Teile so herausgesägt und geschnitzt, dass sich zumeist zwei durch Kämmung verbundene Bretter scherenartig aufklappen und um die Achse schwenken lassen. Dadurch entsteht eine praktische Auflagefläche für den Koran. Der Koranständer, der meist ein exemplarischer Gegenstand orientalischer Holzschnitzkunst ist, wird vielfach respektvoll als rahl-e sharif bezeichnet. Vielleicht erhält in manchen Ländern die Braut deshalb als Morgengabe einen Koran, einen Gebetsteppich und auch ein Lesepult, da sich der Gläubige seinem Schöpfer gegenüber stets verantwortungsbewußt verhalten soll. Da der Islam den Menschen zu einer ganzheitlichen und umfassenden Gestaltung seiner ihn umgebenden Welt im Geiste der bedingungslosen Ehrfurcht und Liebe zu Allah und der durch den Propheten Mohammed, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, übermittelten Offenbarung auffordert, gibt es in der islamischen Kunst keine Trennung zwischen dem sakralen und profanen Bereich. Der Islam durchdringt das Leben in all seinen persönlichen und öffentlichen sowie geistigen und materiellen Äußerungen. Dadurch erklärt sich vielleicht auch, dass die schriftlichen arabischen Quellen die Begriffe sana'a (machen, herstellen) und Sina'a (Handwerk, Wissenschaft, Kunst; heute Industrie) für alle Wissenschaften, Fertigkeiten und Künste, gleich ob praktischer oder theoretischer Natur, ob religiös oder profan verwenden. Da es im Islam kein sakrales Gerät gibt, sind die Koranständer als Teil des Mobiliars rein funktionsgebunden, der Koranständer bleibt Mobiliar und damit Gebrauchsgegenstand. Auch an den Koranständern sehen wir, dass es kein sakrales Gerät im Islam gibt und dass kein Unterschied zwischen religiös und profan gemacht wird, die Lesepulte in den Moscheen unterscheiden sich in Form und Dekor nicht von denen im privaten Gebrauch üblichen. Der Islam befolgt eine unbedingte Abwesenheit von Bildern mit beseelten Lebewesen, welche die Natur und damit den Schöpfungsakt Gottes nachahmen könnten, aber immer unvollkommen bleiben werden. Diese Bilderabstinenz entspringt der Ehrfurcht vor Allahs Schöpfung und dem Wunsch, Ihm gehorsam zu sein und dem Wunsch, der Sunna zu folgen. Es gibt Ahadith, die die Abneigung des Propheten, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, gegen bildliche Darstellungen zum Ausdruck bringen und aus denen die Sorge spricht, das Volk könne in die vorislamische Zeit der Götzenverehrung zurückfallen. Gerade das Fehlen einer Bildersymbolik und menschlich-figürlicher Abbildungen, sowie die Vorliebe für schematische und abstrakte Darstellungen verleihen der islamischen Kunst einen betont ästhetisierenden Charakter. Die Koranständer zeugen davon, dass die islamische Kunst, eine dekorative Kunst mit tiefen inneren Bedeutungsdimensionen ist und zurecht auch als "Kunst der Dekoration und Verzierung" bezeichnet wird. Es finden sich Koranständer mit kostbaren Durchbruch- und Einlegearbeiten, feinsten Reliefschnitzereien und Einfassungen aus Silberblech oder solche aus Indien, die ganz aus Silber, Bronze, Jade, Elfenbein oder Sandelholz gearbeitet sind oder auch solche mit fein beschnitzten Außenseiten und Durchbrechungen und zum Teil mit wunderbar geschnitzten Füßen, deren Umrisse an Lebensbaum oder an Blatt- und Granatapfelmotive erinnern oder solche ohne Verzierungen. Die weitaus häufigste Technik für die Dekoration der rahl-Flächen ist die Schnitzerei. Hier sind je nach Region und geschichtlicher Epoche alle nur denkbaren Schnitztechniken zu finden. Ganz besonders schöne Beispiele stammen aus der Ära der Seldschuken und der darauf folgenden Emiratszeit im Anatolien des 13. und 14. Jh. Als Motive kommen neben Kalligraphien vor allem Arabeskenfelder aus Gabelblatt ranken vor, wobei diese vorzugsweise den "Fond" bilden, die Kalligraphie dagegen in aller Regel die "Bordüre". Aber auch geometrische Muster mit Sternmotiven und Flechtwerksschnitzereien sind nicht selten. Manche Schnitzereien sind in der Anlage und Ausführung eher einfache volkstümliche Kerbschnitzereien, bei anderen sind die Ornamente erhaben herausgearbeitet und reliefartig geschnitzt. Da, wo der kulturelle Einfluß von Indien und Indonesien spürbar wird, findet man oft Arbeiten in Schrägschnitt-Technik, in rein arabisch geprägten Regionen überwiegen senkrecht eingestochene, abstrakte Muster und Arabeskenmotive. Selbstverständlich kommen neben Schnitzereien auch alle anderen in der Schreinerei gebräuchlichen Dekortechniken vor, insbesondere Einlegearbeiten aus kontrastierenden Farbhölzern, aus Elfenbein, Kamelknochen, Schildpatt und Perlmutt. Vor allem Koranständer aus osmanischer Zeit sowie solche syrischer Herkunft sind damit geschmückt, oft in Verbindung mit Schnitzereien. Die sehr seltenen Koranständer mit einem mashrabiya-Gitter, die wir in Ägypten finden, widersprechen allerdings der Herstellung eines Koranständers aus einem Stück Holz. Anders als die Künste in anderen Traditionen kann islamische Kunst, bei der eine Trennung von Form und Inhalt zu beobachten ist, nicht interpretiert werden als ein Mittel religiösen Ausdrucks, sondern als ästhetisches Medium für kunstvoll verfertigte Dinge, die dem eigenen Vergnügen dienen oder auch als Zeichen der Frömmigkeit zum allgemeinen künstlerischen Genuß gestiftet werden können. Der Buchständer ist ein Beispiel dafür. In seiner technisch raffiniert und kunstvoll gestalteten Art ist er ein Gegenstand, dessen Betrachtung uns Vergnügen schenkt und indem wir ihn als Koranständer benutzen, um unser heiliges Buch voller Ehrfurcht zu behandeln, auch eine religiöse Komponente erhält. In der europäischen Kultur gibt es keinen vergleichbaren Gebrauchsgegenstand oder spielerisches Puzzle noch eine Verbindung von beidem. Die technische Raffinesse dieses Gegenstandes wird jedoch nicht in der funktionsbestimmten Postition als Koranständer erschöpft, sondern umfaßt bemerkenswert vielfältige Möglichkeiten, durch das Verschieben der einzelnen Bretter immer wieder neue annähernd geradlinige Formen zu gestalten. Es entstehen geometrische Gebilde, an denen sich vor allem Symmetrien aufzeigen lassen, es lassen sich ornamentale Grundformen wie Quadrat, Raute oder die Spitze eines sternförmigen Oktogons aufbauen, die in der islamischen Kunst von wesensmäßiger Bedeutung sind. Bei den mit Hilfe des Koranständers gebildeten Polygonen fällt die Verlängerung der Seiten auf, die eine beliebige Fortsetzbarkeit impliziert, wie sie für das Formenvokabular der islamischen Ornamentkunst wie zum Beispiel bei den Arabesken, so charakteristisch ist. Diese Abstraktion auf geometrische Formen und unendlich wiederholbare, verflochtene Rapports ist eine Vereinfachung der natürlichen Formen, die in ihrer Komplexität zu erfassen dem Menschen allein nicht möglich ist. Die künstlerische Sprache des rahl-Gebildes folgt also formal den Stilprinzipien islamischer Ornamentik. Voller Weisheit wird im Islam, der die Erneuerung und Bestätigung der bis zu Adam zurückreichenden prophetischen Tradition ist, jedes Ding an seinen ihm zustehenden Platz gestellt, um Irrtümer, Täuschungen und Einbildungen zu vermeiden, die vor allem dadurch entstehen, dass der Mensch die Gesetze und die Natur des Nichterschaffenen auf das Erschaffene überträgt. Islamische Eroberer ließen deshalb in den unterworfenen Gebieten nur das zerstören, was mit dem unhaltbaren Anspruch des Absoluten, Ewigen und Unvergänglichen auftrat. So wie der Koran alle vorausgegangenen Offenbarungen von späteren Verfälschungen und Einkleidungen reinigte, konnte die sich entfaltende islamische Kultur dem überkommenen Kunstkanon das ihr Entsprechende entnehmen und das Übernommene von seinem irreführenden mythologischen Ballast befreien und zu abstrakteren Formen führen. So hat die islamische Kunst die hellenistischen, byzantinischen, iranischen oder indischen Vorbilder mit seiner geometrischen Phantasie zu geistvoller Geschmeidigkeit, klarer Eleganz und religöser Tiefe weiterentwickelt ohne perspektivische Gaukelei, ohne vorgetäuschte Dreidimensionalität, ohne szenische Schilderungen und ohne naturalistische Abbilder von Lebewesen. Ihr Motivschatz beruht auf dem Wissen um die Ausdrucksmöglichkeiten der Linien, Symmetrien, Wiederholungen und Variationen. |
Diese Kunst will nicht den äußeren Schein der Schöpfung darstellen,
sondern sie will einen inneren Kern aufleuchten lassen. Sie soll nicht die Schöpfung
nachahmen, sondern ihre klaren Grundlagen zu erfassen suchen und vor allem auf die
göttliche Einheit in der auf Gesetzmäßigkeit beruhenden Schönheit der Schöpfung
aufmerksam machen und ist nicht als Verkörperung hoher Ideale zu verstehen.
Quelle: Islamische Zeitung
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