"Wie
finde ich einen Ehepartner ...?"
Die neue IZ-Reihe über
den Alltag der Muslime in Deutschland
(iz)Verfolgt
man die deutschen Medien, hat man den Eindruck, dass - leider - viele nichtmuslimische
Zeitgenossen tatsächlich glauben, dass Zwangsheiraten unter Muslimen hierzulande gang und
gäbe seien und insbesondere muslimische Frauen sich zumeist ihren Ehemann nicht frei
aussuchen könnten. Dieses Bild stimmt freilich nicht mit der Realität überein. Zwar
gibt es solche Fälle durchaus, aber doch in vergleichsweise geringem Maße und zunehmend
seltener, und viele junge muslimische Frauen haben sogar noch nie von einem konkreten Fall
einer Zwangsheirat gehört. Der folgende Text möchte sich aber einem anderen Aspekt des
Themas Heirat und Ehe widmen, nämlich dem Weg dorthin, das heißt der Partnersuche und
Eheanbahnung. Für viele junge, praktizierende Muslime ist es nämlich gar nicht so
einfach, den richtigen Partner oder die richtige Partnerin zu finden. Der Text bezieht
sich dabei in erster auf die Verhältnisse in Deutschland. Die geschilderten Beobachtungen
und Phänomene können und sollen allerdings nicht verallgemeinert werden.
Wege der
Partnersuche
Viele junge
Muslime begegnen sich heute in Schule, Universität, oder bei islamischen Veranstaltungen,
seien es Vorträge, Seminare, Id-Feiern oder Treffen von islamischen Jugend- oder
Studentengruppen und teilweise auch am Arbeitsplatz. In immer weniger Fällen kommt es
vor, dass man sich vor einer Heiratsanbahnung nicht kennt oder nie gesehen hat. In der
Regel kennt man sich schon ein Stück weit, bevor die Eltern eingeschaltet werden und es
zum ersten offiziellen Treffen in Anwesenheit der Eltern kommt, wo
gewissermaßen um die Hand der Tochter angehalten wird. Das klassische Modell, dass die
Eltern bei der Wahl des Ehepartners maßgeblich mitwirken und diesen aussuchen, also die
so genannten arrangierten Ehen, verliert zunehmend an Bedeutung, vor allem in
Deutschland beziehungsweise Europa, wie man immer wieder hört. Gerade die Töchter
möchten dies zunehmend weniger, berichtet Emine Ö. aus Köln, die viele muslimische
Mädchen nd Frauen kennt. Gerade die Mädchen sehen das mittlerweile oft als
Beleidigung. Da kommt jemand um ihre Hand anhalten, der sie noch nie gesehen hat, der nur
von ihr gehört hat und dann Anfragen kommt. Häufig sei es eher so, dass der
interessierte junge Mann eine andere junge Dame aus dem Umfeld des der jungen Frau
anspricht und erst einmal fragt, ob sie denn schon verheiratet sei oder nicht, ob man
anfragen könnte, wie die Eltern eingestellt sind und so weiter, berichtet Emine Ö. Man
erkundigt sich also im Umfeld der jungen Frau. Dann, so Emine Ö., versucht man häufig
zunächst einmal etwa telefonisch, per E-mail oder persönlich Kontakt zu dem Mädchen
aufzunehmen, ohne gleich die Eltern einzubeziehen. Der andere Weg würde dann direkt zu
einer Anfrage bei den Eltern führen. Meistens kam es aber schon einmal zu einem Kontakt,
bevor die Eltern einbezogen werden. Seitens der Eltern gibt es im wesentlichen zwei
Positionen: Manche Eltern möchten von Anfang an bescheid wissen, wenn etwas läuft,
andere gewähren ihren Kindern, dass sie sich schon vorher kennen lernen können -
natürlich im islamisch akzeptablen Rahmen, der etwa körperlichen Kontakt jeder Art
ausschließt, und dass man auch nicht unter vier Augen in einem geschlossenen
Raum miteinander alleine ist -, allerdings bei der Entscheidung beteiligt sein.
Viele Damen
schalten aber möglichst früh die Eltern ein, da sie ihre Würde bewahren
möchten, wie eine befragte junge Dame erklärt, oder aber nicht das Gefühl haben
möchten, etwas hinter dem Rücken der Eltern zu unternehmen. Für die jungen Männer
bedeutet all dies, dass sie immer häufiger erst dann zu einem Vorstellungstermin bei den
Eltern der Frau gehen, wenn sie bereits von dieser das Signal bekommen haben, dass auch
ihrerseits Interesse besteht. Das hat für die männliche Seite den Vorteil, sich das
unangenehme Erlebnis zu ersparen, von der jungen Dame einen Korb zu erhalten. Es ist
natürlich unter Muslimen nach wie vor überwiegend der Fall, dass die Initiative
bezüglich einer Anfrage vom Mann auszugehen hat, und dies wird von den Frauen auch so
erwartet. Manchmal aber auch von der Frau, etwa auf der Ebene von Blickkontakten, wie man
auch hören kann. Die Männer sind oft zu zaghaft, sie sollten mehr zeigen, dass sie
eine Frau erobern wollen, klagt Emine Ö. über die heutigen jungen muslimischen
Männer. Die muslimischen Männer seien heute diesbezüglich zurückhaltender geworden.
Dies mag teils an Unsicherheit seitens der Männer liegen darüber, wie sie sich korrekt
verhalten sollen, aber auch darüber, wie die junge Frau reagieren wird. Verkrampftheit
findet sich aber nicht nur auf Seiten der Männer, sondern auch seitens der Frauen.
Eine gute
Möglichkeit bei der Partnerwahl ist auch das Einschalten einer Vertrauensperson als
Vermittler oder Vermittlerin bei der Herstellung des Kontakts, die beide beteiligten
Seiten kennt und idealer Weise auch das Elternhäuser oder eines davon. Viele schrecken
heute vor einer Vermittlerrolle zurück oder zögern, da dies eine nicht geringe
Verantwortung bedeutet. Gescheiterte Vermittlungen und die Angst, bei einem Scheitern der
Vermittlung oder gar der Ehe eine Mitschuld zugewiesen zu bekommen, spielen hierbei eine
Rolle. Dies sollte aber nicht davon abhalten, diesen Weg einzubeziehen, da er sich schon
häufig bewährt hat.
Schwierigkeiten
Das Problem
ist heute, wie Beobachter bestätigen, weniger, dass es zu wenig potenzielle Ehepartner,
seien es Frauen oder Männer, geben würde, sondern eher, dass diese häufig immer
schwieriger zueinander finden. Es besteht also ein gewisses Kommunikationsproblem. Es gibt
auch tendenziell mehr praktizierende junge Musliminnen als praktizierende junge männliche
Muslime. Die Sorge der Männer bezüglich einer Heirat hat oft mit finanziellen Fragen zu
tun, etwa wie hoch die Vorstellungen über die Mahr, die Brautgabe, seitens der Eltern der
Braut sind, und welche materiellen Erwartungen bezüglich der Hochzeitsfeier und darüber
hinaus bestehen. Man hört immer wieder von überhöhten Mahr-Forderungen, die das
Heiraten erschweren, entgegen übrigens einer diesbezüglichen Empfehlung des Propheten
Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden schenken, welche eine solche Erschwernis
verhindern soll. Dem Charakter und der Gottesfürchtigkeit ist demnach letztlich der
Vorzug vor materiellen Dingen zu geben. Gegenwärtig ist aber auch zu beobachten, dass die
materiellen Ansprüche im Vergleich zu früheren Jahren an Bedeutung verloren haben und
von der Sorge der Kinder und auch der Eltern darum, überhaupt einen guten Ehepartner zu
finden, überlagert werden. Die hier geborenen jungen Musliminnen haben diese
traditionellen materiellen Ansprüche der Elterngeneration oft nicht mehr.
Die
ethnisch-sprachlichen Hindernisse beim Heiraten, sowohl zwischen Muslimen verschiedener
Herkunftsländer und Abstammung, aber auch zwischen verschiedenen ethnischen und
regionalen Gruppen innerhalb der jeweiligen Herkunftsländer spielen noch immer eine
Rolle, wobei die Bedenken hier meist von Seiten der Eltern kommen, doch sind auch hier
mittlerweile abnehmende Tendenzen festzustellen. Und bei den hier geborenen und
aufgewachsenen hat die Prägung in Richtung eines größeren Individualismus ihre Spuren
hinterlassen - man ist nicht mehr in dem Maße bereit, sich von den Eltern bestimmen zu
lassen, wie dies traditionell in den Herkunftsländern der Fall ist. So nehmen sich die
Eltern heute auch häufig mehr zurück als früher und berücksichtigen die Wünsche der
Kinder stärker.
Anzeigen
& Agenturen
Die Suche
nach einem Ehepartner durch Kontaktanzeigen in islamischen Medien oder Webseiten wurde
früher oft eher schief angesehen und galt als nicht ganz seriös, hat sich aber
mittlerweile doch stärker verbreitet und wird vermehrt akzeptiert. Samer Fahed vom Islamischen
Heiratsinstitut in München, das seit Anfang 2005 existiert, berichtet von dem regen
Interesse, auf das er damit stößt, aber auch auf Hemmungen seitens der heiratswilligen
Muslime, sich tatsächlich für eine Vermittlung anzumelden. Das Gespenst von der Heirat
allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen, das sich aus vielfachen realen Erfahrungen
speist, tragen viele noch immer in sich. In Fällen, wo es erkennbar um
Aufenthaltsgenehmigungen gehe, lehne man eine Aufnahme in die Vermittlung ab, erklärt
allerdings Samer Fahed.
Man habe
schon gute Vermittlungserfolge erzielt, auch mit Interessenten höheren Alters - die es ja
oft noch schwerer haben als junge Muslime. Viele Interessenten erlägen aber zu leicht dem
unrealistischen Eindruck, sich mittels des entsprechenden Fragebogens einen Wunschpartner
nach Maß backen zu können, wie Fahed es ausdrückt. Man sollte also von zu
hohen, unrealistischen Vorstellungen Abstand nehmen.
Verhaltensempfehlungen
Läuft
etwas im Hinblick auf eine Heirat, also Vorgespräche mit dem potenziellen Ehepartner und
den Eltern, so hat sich die Vorgehensweise bewährt, dies diskret zu handhaben und nicht
herumzuerzählen, bevor alles definitiv festgemacht wurde, außer den engsten Beteiligten.
Man erspart sich dabei zum Beispiel die unangenehme Situation, dass bei einem Scheitern
der Verhandlungen dies dann ebenso öffentlich wird, und auch das Gerede und die Gerüchteküche,
die es leider auch nicht selten gibt. Nie zu empfehlen ist aufdringliches Verhalten - man
sollte immer darauf vertrauen, dass man letztlich den Ehepartner bekommen wird, den Allah
für einen geschrieben hat, und keinen anderen. Man sollte nichts überstürzen. Und von
großer Bedeutung und dringend zu empfehlen ist das Istikhara-Gebet, das im islamischen
Recht und der Sunna verankert ist, bei dem man nach einem rituellen Gebet Allah um Rat und
Hilfe bei der Entscheidung einer wichtigen Sache bittet, bei der man sich unsicher ist.
Die Antwort kann in Form einer Eingebung, eines Traumes oder anderer Zeichen kommen. Das
Istikhara-Gebet kann auch mehrfach wiederholt werden.
Nachbarschaft
Der
Kontakt und das gute Verhältnis zur Nachbarschaft gehört zu den wichtigen sozialen
Tugenden im Islam.
Die
Nachbarn haben sogar ein Anrecht darauf, und der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen
und ihm Frieden schenken, maß diesen Rechten besondere Bedeutung bei. Es gibt mehrere
Überlieferungen vom Propheten dazu, in denen die Gläubigen dazu angehalten werden, die
Nachbarn gut zu behandeln und sie nicht gering zu achten, ihnen Geschenke zu machen, bei
der Essenszubereitung auch an die Nachbarn zu denken, und sich sich nicht mit den Nachbarn
zu streiten oder sie mit Worten zu verletzen.
So heißt
es in einem von Aischa überlieferten Hadith, dass der Gesandte Allahs gesagt
hat: Dschibril [der Engel Gabriel] hat mir so lange den Nachbarn ans Herz gelegt,
bis ich meinte, er würde ihn zum Erben einsetzen. (Bukhari)
Und er hat
auch gesagt: Abu Dharr, wenn du Suppe kochst, gib mehr Wasser dazu und denke an
deine Nachbarn. (Muslim)
Oder:
Derjenige ist kein Gläubiger, der sich satt isst, während sein nachbar neben ihm
hungrig ist. (Muslim)
Und in
mehreren verschiedenen Überlieferungen vom Propheten heißt es auch: Wer an Allah
und den Jüngsten Tag glaubt, der soll seinen Nachbarn ehren. In einem weiteren
Hadith fragt Aischa den Propheten, welchen ihrer zwei Nachbarn sie beschenken
solle, worauf der Gesandte Allahs antwortete: Den, der deiner Tür am nächsten ist.
(Bukhari) Dies deutet auf den Vorrang der nächstgelegenen Nachbarn hin. Der Begriff der
Nachbarschaft wird im Islam allerdings auch sehr weit gefasst; es heißt, dass als
Nachbarn alle gelten, die innerhalb eines Umkreises von 40 Häusern um einen herum wohnen,
das heißt die Nachbarschaft erstreckt sich bis zum 40. Haus.
In den
traditionellen muslimischen Städten mit ihrer häufig anzutreffenden Sackgassenstruktur
war es oft so, dass sich einzelne Nachbarschaften um jeweils ein bestimmtes
Sackgassensystem herum gruppierten und so beinahe ein in sich geschlossenes kleines
Viertel innerhalb der Stadt bildeten, das dem Durchgangsverkehr entzogen war und
normalerweise, abgesehen von Besuchern, nicht von Fremden frequentiert war.
Oft
bestanden innerhalb dieser Nachbarschaftsquartiere auch noch Verwandschaftsbeziehungen
unterschiedlichen Grades zwischen den Bewohnern, oder sie gehörtem dem gleichen Stamm
oder einer Sippe an. Dies war aber natürlich nicht immer der Fall.
Im
Marokkanischen gibt es das Sprichwort al-dschar qabla ad-dar, der
Nachbar vor dem Haus, das heißt, dass man noch vor der Wahl des Platzes, an dem man
sein Haus bauen, erwerben beziehungsweise einziehen will, sich die Nachbarschaft gut
anschauen sollte, da eine gute Nachbarschaft eine bedeutende Rolle spielt und man im
Zweifelsfalle lieber einen anderen Ort wählen sollte, als eine schlechte Nachbarschaft.
Für uns
Muslime in Europa ist es sehr wichtig, schon um eines besseren Verständnisses des Islam
wegen, dessen Vertreter wir sind, möglichst einen guten Kontakt zu den Nachbarn
aufzubauen, mit ihnen zu kommunizieren, sich zu besuchen, zu beschenken und zu zeigen,
dass man sich um einander kümmert, auch um der immer weiter fortschreitenden
Individualisierung, Anonymisierung und Ignoranz in der Gesellschaft etwas entgegenzusetzen
(Von Yasin Alder, Bonn).