Muslim-Markt interviewt
Christoph R. Hörstel - Vorsitzender Friedenskreis Deutschland e.V.
27.6.2008
Christoph R. Hörstel (Jahrgang 1956) ist Enkel des Rechtsanwalts Walter Hörstel, der
einstmals dazu gezwungen war, sich seinen "Arierpass" zu stehlen und zu
fälschen, um in Deutschland überleben zu können. Christoph R. Hörstel hat nach dem
Wehrdienst eine Ausbildung bei der Deutschen Bank und ein Studium in München absolviert:
Sinologie und Romanistik (Französisch, Spanisch) sowie Marketingstrategie an der
Universität Basel. |
Christoph R. Hörstel
|
Ab 1985 war er beim ARD-Fernsehen als
Sonderkorrespondent und Nachrichtenmoderator mit 2.500 live-Sendungen, sowie als leitender
Redakteur. Ab 1999 wechselte er zu Siemens (mobile division) als Leiter der
Bereichskommunikation und gründete 2001 die Regierungs- und Unternehmensberatung
"Hörstel Networks" in München.
Hörstel gilt in Politik und Medien aufgrund seiner 23 Jahre Erfahrung aus erster Hand
in Afghanistan and Pakistan als Experte für Afghanistan, Islamismus und Terror. In
Afghanistan und Pakistan war er auch als Regierungsberater tätig. Weitere Einsätze
führten Hörstel in den Irak (Herbst 2003) und Iran (Sommer 2005). Im Frühjahr 2006
begann Hörstel seine Tätigkeit als Coach für ausgewählte Führungskräfte der
deutschen ISAF-Truppe im Fach "Landeskunde Afghanistan".
Im Wintersemester 2006/7 lehrte Hörstel am "Institut für Friedensforschung und
Sicherheit" der Universität Hamburg zum Thema: "Terror-Mediation am Beispiel
Afghanistan". Im Oktober 2007 veröffentlichte er sein Buch "Sprengsatz
Afghanistan: Die Bundeswehr in tödlicher Mission", dem im September 2008 das Buch
"Brandherd Pakistan: Wie der Terrorkrieg nach Deutschland kommt" folgt.
Christoph R. Hörstel ist verheiratet, hat zwei Töchter
und lebt in München. |
MM: Sehr geehrter Herr Hörstel, bis vor zwei Jahren
saßen Sie im Beirat der Deutsch-Arabischen-Gesellschaft (DAG). Heute tun Sie das nicht
mehr. Können Sie uns die Umstände etwas genauer erläutern?
Hörstel: Ich bin nicht mehr Mitglied der DAG, seit
mich der Vorstand auf Betreiben der Bundesregierung beim Präsidenten Wiesheu (Lobbyist
der Bahn AG) aus dem Beirat entfernt hat. Die Bundesregierung hat dies im Frühjahr 2006
unternommen, nachdem ich für ein Mitglied der Hamas-Regierung Bundestagskontakte in
Deutschland organisiert hatte. Die Reise des parteifreien Flüchtlingsministers Atef Adwan
in die Bundesrepublik ging damals durch die Presse. Während der Reise erklärte die
Bundesregierung Herrn Adwan zur "persona non grata". Ich habe dann erklärt,
dass ich die Palästina-Politik der Bundesregierung mit politischen Mitteln zertrümmern
helfen werde, bis sie in kleinen Stücken am Boden liegt - restlos. Dies tue ich, weil die
Politik der Bundesregierung besonders im Kontakt mit manchen muslimischen Ländern oder
Problemzonen permanent das Völkerrecht missachtet. Ich schulde es mir selbst als Christ
und Deutscher, dieses ekelhafte Treiben nicht länger zu dulden.
MM: Nun, wenn sowohl die USA als auch Israel die
Hamas als terroristische Vereinigung einstufen, konnten Sie sich dann ernsthaft
vorstellen, dass eine Bundesregierung, noch dazu die aktuelle, eine als
"Terroristen" eingestufte Person willkommen heißt?
Hörstel: EU-Außenpolitiker Javier Solana hatte
erklärt, er könne die Hamas nicht als Terror-Organisation einstufen, weil sie zu wenig
Terror-Akte begehe. Flüchtlingsminister Atef Adwan, den ich für einen charaktervollen
feinen Mann halte, ist nicht einmal Mitglied der Hamas. Wegen der völker- und
menschenrechtswidrigen Politik Israels gegenüber der demokratisch gewählten
Palästinenser-Regierung kam Adwans Besuch bei uns in Deutschland damals einem
humanitären Notruf gleich, da hätten wir Deutsche auf doppelter Grundlage zeigen
können, dass wir aus der Nazizeit gelernt haben: Kein Krieg mehr von deutschem Boden aus,
kein Rassismus, keine Unterdrückung, keine Benachteiligung bestimmter Religionen oder
ihrer Gläubigen. Das erwarte ich von jeder Bundesregierung - andernfalls hat sie die
Berechtigung zur Amtsausübung verloren: Nach dem deutschen Grundgesetz und völlig
unabhängig vom Wahlergebnis.
MM: Ihre zunehmend öffentlich geäußerte Kritik an
der Nahost-Politik Deutschlands bzw. der Politik gegenüber Muslimen bezieht sich ja nicht
nur auf Palästina, was passt Ihnen grundsätzlich nicht?
Hörstel: Meinen politischen Freunden und mir und
vielen Menschen in der ganzen Welt passt nicht, dass wir grundsätzlich - und seit
Schröder zunehmend - nicht mehr nach der ethischen Grundlage unserer Außenpolitik
fragen, sondern nach den Wünschen von US-Regierungen. Wir fragen auch nicht, ob wir
unseren Freunden im Ausland, USA, Nato etc., statt durch Militäreinsätze wie in
Afghanistan, Kongo oder anderswo nicht besser dienen könnten, indem wir ihnen zeigen und
sagen, wie sehr ihre Politik ihren eigenen besten Interessen langfristig schaden muss. Das
muss man gar nicht offen tun. Und man könnte den Worten auch gute Gesten der Freundschaft
und Solidarität folgen lassen. Ein Beispiel: Überall in der Welt vergiften die USA mit
Uranwaffen tausende und zehntausende Menschen: auf dem Balkan, im Irak, in Afghanistan. Im
Libanon taten es offenbar die Israelis. Schreckliche Missbildungen bei Kindern sind die
Folge, Genschädigungen über Generationen hin. Wir könnten uns daran machen, diese
schlimmen Folgen lindern zu helfen - übrigens durchaus auch in den Familien der
amerikanischen und israelischen Soldaten, die von ihren allem Anschein nach
verbrecherischen Vorgesetzten offenbar dazu missbraucht wurden, diese Waffen einzusetzen -
und dann selbst kontaminiert werden.
MM: Welche Versäumnisse werfen Sie der deutschen
Politik vor?
Hörstel: Ich zähle auf: Unser Versäumnis in
Tschetschenien, wo wir unserem guten Freund Putin helfen könnten, nicht sein eigenes
russisches Haus mit seinen nicht wenigen muslimischen Bewohnern anzuzünden - und ohne
Sicherheitsabstriche für sein Land einen klugen und menschenwürdigen Weg zu gehen. Unser
Versäumnis in Kaschmir, wo durch eine verbrecherische britische Grenzziehung schon drei
bis vier Kriege geführt wurden - und bis heute Mord und Folter an der Tagesordnung sind.
In Afghanistan, wo wir uns an einem ekelhaften Verbrechen der US-Regierung auf der
Grundlage eines weltweiten mörderischen Großbetrugs beteiligen: dem angeblichen Attentat
vom 11. September, das doch m. E. die CIA unter ihrem ehemaligen Chef George Tenet
maßgeblich mitorganisiert hat. Auf der Grundlage dieses geschichtlich ziemlich einmaligen
Betruges erlaubt sich die USA weltweite Kriegführung, zwingt ihre NATO-Verbündeten mit
hinein - und stößt so die ganze Welt an den Abgrund eines Flächenbrands. Dabei gibt es
doch gerade in den USA viele couragierte Menschen, die da nicht mehr mittun wollen. Warum
unterstützen wir ihre aufopferungsvolle Arbeit nicht besser? Von den Schwierigkeiten der
Muslime auf den Philippinen, in Thailand und anderswo will ich hier gar nicht sprechen,
das führt zu weit. Aber warum müssen wir eigentlich dauernd Pakistan haftbar machen für
unsere neokolonialistische Politik - und dieses grundsätzlich freundliche und friedliche
Volk immer wieder in blutige Probleme stürzen?
MM: ... und Iran?
Hörstel: Was hat uns eigentlich der Iran getan, ein
Land, in das die USA aus nackter Gier seit 50 Jahren mit blutiger Hand hineinregieren, ein
hoch kultiviertes Volk, das unsere Freundschaft und Hilfe verdient? Statt dessen gehen wir
mit gezogener Waffe in Verhandlungen und sagen: Akzeptiert im Austausch für das Recht auf
friedliche Nuklear-Entwicklung einen Apfel und ein Ei - oder sterbt. Das erinnert mich
fatal an den Umgang mit restlos verteufelten Taliban durch die USA: Akzeptiert unsere
Pipeline-Vorschläge – oder krepiert. Und dann stellen wir uns scheinheilig vor die
Weltgemeinschaft hin und verkünden mit den USA, Iran sei hoch aggressiv, WIR fühlen uns
angeblich bedroht. Von einem Land, das in 200 Jahren niemanden angegriffen hat. Und weil
der Iran nicht aggressiv genug ist für unsere verbrecherischen Pläne, müssen wir noch
mit internationalen Absprachen in allen westlichen Medien Fehlübersetzungen der Aussagen
des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad veröffentlichen. Und haben wir nicht durch
unsere Atompolitik in Indien und Nordkorea längst jede Glaubwürdigkeit verloren?
Müssten wir nicht auch laut Atomwaffensperrvertrag, dem gleichen Abkommen, das wir als
Waffe gegen Iran missbrauchen, längst alle nuklear abrüsten, allen voran die USA? Was
tut Deutschland, um die USA dazu zu bringen? Werden wir im Falle des bevorstehenden
Luftkrieges gegen Iran auch wieder gegen alles Völkerrecht und gegen das Grundgesetz den
USA erlauben, alle militärischen Einrichtungen auf deutschem Boden für weitere
Kriegsverbrechen zu nutzen? Haben wir bedacht, dass wir damit Kombattanten der USA werden
- und völkerrechtlich der Iran uns deshalb im Kriegsfall angreifen dürfte? So wie auch
Saddam Hussein dieses Recht gehabt hätte? Diese letzteren beiden Punkte gründen sich
übrigens auf ein Bundeswehr-internes Rechtsgutachten, das mir vorliegt. Was war mit Irak,
was mit dem Kosovo? Ist die Liste deutscher Verfehlungen und Rechtsbrüche schon so lang,
dass sie den Rahmen jedes Interviews sprengen muss, wenn man nur annähernd auf die
Tatsachen eingehen will? Glauben wir denn, wir kämen mit derart vielen Vergehen
ungestraft davon? Solche Fragen stellt übrigens auch der verdienstvolle
CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Gauweiler. Wollen wir nur alle sechs Monate zur Kenntnis
nehmen, dass das Netzwerk der "Terroristen" schon wieder dichter und stärker
geworden ist? Wer glaubt denn noch, es ginge hier um Terroristen - angesichts dieser
erdrückenden Aufzählung? Gibt es auch hier Menschen, die zumindest im stillen
Kämmerlein zugeben müssen, dass wir derartigen Widerstand gegen unsere Politik mit
eigener Schuld täglich stärker herausfordern? Ich habe Angst vor der militärischen
Gewaltbereitschaft und Skrupellosigkeit von Frau Merkel und der von ihr geführten
Regierung.
MM: Wie ist denn die rechtliche Situation für die
deutsche Politik Ihrer Ansicht nach?
Hörstel: Jeder Minister, auch der Umweltminister oder
die Entwicklungshilfeministerin, ist persönlich mit verantwortlich für das Ganze der
deutschen Regierungspolitik, für jede Truppenentsendung, für jeden Schuss, für jede
Bombe. Und ich fürchte die Gier der US-Industriellen, die in Bush einen geradezu
lächerlich inkompetenten Politiker zum Zugpferd einer verbrecherischen Regierung gemacht
haben, die vor Massenmord, Folter, Kriegsverbrechen, Umstürzen in fremden Ländern nicht
zurückschrecken. Die US-Wunschpartner einstmals Blair, heute Merkel, Sarkozy sind es, die
uns alle ins Verderben stürzen können. Mit ihren Iran-Kriegsplänen stehen sie kurz
davor. Und kein namhaftes Medium in Deutschland nimmt sich der Tatsache an, dass wir bei
Einsatz aller Israel zur Verfügung stehenden Uranbomben im Iran mit erhöhten
Strahlenwerten in unseren Vorgärten rechnen müssen. Das hat die Klimaforschung an der
hoch renommierten US-Universität Berkeley herausgefunden. Und das ist hier gar keine
Nachricht.
Aber wir streiten uns um Holocaust-Gedenktafeln auf deutschen
Bahnhöfen. Ich fände es gut, wenn wir diese Tafeln anbrächten - und darum herum Tafeln,
die an unsere Verbrechen an anderen Religionen wie dem Islam ebenfalls erinnern, damit wir
nicht mit rückwärts in die Geschichte gewandtem Blick heute in unser Verderben laufen.
MM: Das sprengt wirklich den Rahmen eines jeden
Interviews. Unsere Leser sind aber sehr wissbegierig, daher versuchen wir es zumindest in
einigen Punkten zu vertiefen. Wie soll Deutschland z.B. gegenüber dem heutigen Iran
verfahren, wenn das Land einen "Judenstaat" ablehnt und der Schutz Israels als
"Judenstaat" - in welchen Grenzen auch immer - widerspruchslos zur Staatsräson
aller Bundesregierungen erklärt wird? Und wie ist es mit der Atomfrage?
Hörstel: Iran lehnt den Judenstaat nicht ab sondern
dessen Regierung. Diese Ansicht teilen viele Juden, auch in Deutschland und der Welt. In
dieser Frage steckt bezüglich der damit verbundenen weit verbreiteten Vorstellung in
Deutschland und allen Nato-Ländern, der Iran wolle Israel auslöschen, ein Fehler, und
zwar ein Übersetzungsfehler; noch genauer: Es steckt darin ein planmäßiger,
internationaler Übersetzungsfehler von den Reden des iranischen Präsidenten
Ahmadinedschad. Wir sind aber inzwischen in Deutschland durch vielfältige
Privatinitiativen der ganzen Sache etwas näher gekommen und deswegen hat z.B. der
Auslandssprachendienst des Auswärtigen Amtes vor einigen Tagen offiziell erklärt, dass
die betroffene Passage in der Ansprache des iranischen Präsidenten wie folgt heißt:
"Das Regime, das Jerusalem besetzt hält, muss aus den Annalen der Geschichte
[safha-yi rozgar] getilgt werden.” Das heißt also nicht „das Land sollte
verschwinden“ oder – was ja noch schlimmer wäre – „alle Menschen sollten
verschwinden“, schon gar nicht heißt es „Israel soll ausradiert werden“,
also all diese Behauptungen sind falsch. Was jetzt eigentlich noch aussteht in dieser
Frage, und dann komme ich zu Ihrer Frage, ist eigentlich eine Entschuldigung der
Bundeskanzlerin Merkel gegenüber dem iranischen Präsidenten, den sie in dieser Form
missverstanden hat. Das darf einer Kanzlerin nicht passieren und muss natürlich gerade
gerückt werden.
Aber jetzt zur Politik. Es ist natürlich völlig klar und
auch ganz eindeutig, was hier passiert. Der Iran hat das Recht genau das zu tun, was er
tut, nämlich für friedliche Zwecke Uran anzureichern. Dass er dies nicht für friedliche
Zwecke tut, können wir nicht beweisen und ist auch nicht möglich zu beweisen: keine
Kontrolle hat das ergeben. Mehr als ein Dutzend US-Geheimdienste kamen Ende vergangenen
Jahres zu dem Schluss, der Iran habe sein Atomwaffenprogramm seit 2003 eingestellt. Das
Bush-Regime war stinksauer. Mit anderen Worten tut der Iran zur Zeit das, was legal ist.
Selbstverständlich ist es ganz sicher, dass, wenn man über das für friedliche Zwecke
notwendige Maß hinaus anreichert, dass man dann Bomben basteln könnte, das ist keine
Frage. Nur, man kann ja nicht jemanden im Vorhinein bestrafen, womöglich noch mit Krieg,
sondern nur hinterher. So ist nun einmal die rechtliche Situation. Und es wird auch nicht
besser dadurch, dass eine Staatengemeinschaft wie die NATO unter Führung der USA hingeht
und dem Iran jetzt sagt: „Weil du ja in Zukunft Bomben basteln könntest, werden wir
dir heute schon verbieten, was du rechtlich korrekterweise tust.“ Das kann man
höchstens verhandeln. Dabei sind wir. Hier stellt sich aber ganz klar heraus, alle
Angebote die wir gemacht haben, hat der Iran abgelehnt. Das ist sein Recht. Wir können ja
auch nicht zum Juwelier gehen und sagen: „Ok, diesen Goldring rück’ mal bitte an
mich heraus, ich biete dir dafür fünf Euro“, da lehnt der Juwelier natürlich ab
und dann sagen wir: „Ok, dann müssen wir das leider mit Waffengewalt erzwingen.“
Das ist die Situation in der wir jetzt sind. Wir benehmen uns letztlich wie
Juwelierladenräuber und zwingen ein Land etwas aufzugeben, für – wie ich gesagt habe -
Apfel und Ei, was es nicht aufgeben müsste, rechtlich gesehen. Das ist die Situation vor
der wir stehen, d.h. wieder einmal setzt sich die NATO international ins Unrecht; nicht
gut für unseren Ruf, nicht gut für die Politik und ich befürchte eben möglicherweise
auch, gar nicht gut für den Frieden.
MM: Gut, dann ein Szenenwechsel. Sie haben vor 2006
und 2007 ausführliche Interviews mit dem auch in Deutschland bekannten Afghanen Hekmatyar
geführt, allerdings wurde nur eines davon in Auszügen veröffentlicht, und haben
zahlreiche Insiderkenntnisse über das Land. Besteht nicht die Gefahr, dass bald auch
deutsche Soldaten in Särgen zurückgeführt werden? Und soll Deutschland nicht am
Hindukusch verteidigt werden?
Hörstel: Ja, vor allem besorgt mich maßlos, dass die
großen deutschen Medien bis heute verschweigen, dass Hekmatyar der erste Afghane war, der
einem über fünf Jahre abgestuft und planvoll laufenden Disengagement Plan zugestimmt
hat, dem auch die mittlere Führungsebene der Kabuler Regierung begeistert zugestimmt hat,
für den die Taliban ihre Zustimmung signalisiert haben – nur eben nicht die Nato. Die
afghanische Situation ist unterdessen schwierig und sie wird für die NATO immer
schwieriger, das ist ganz eindeutig.
Schon die Zahlen sind fürchterlich: 2.400 „Vorfälle“
– das sind Gefechte, Straßenbomben und Selbstmordattentate 2005. 6.400 dann im Jahr
2006. Und seit 2007 werden die Zahlen mit Buchungstricks geschönt, hat mir ein
Bundeswehr-Insider erklärt: da liegen wir real bei mindestens 12.000! Übrigens, die zahl
der Selbstmordattentate ist mit 1-2 pro Woche sehr gering. Aber die Medien bei uns
berichten hauptsächlich darüber. Und gemeinsam mit dummen Politikern heißt es, solche
Attentate seien feige. Das ist natürlich Blödsinn, das ist eine mutige Tat. Die Frage
ist, ob man sie gutheißt. Die größten Zahlenanteile habe die Gefechte, das muss man
sich vorstellen: dieser irrwitzige Unterschied, auf der einen Seite 30-50 Jahre alte
Technik, auf der anderen vernetzte elektronische Kriegführung, Wärmesucher,
Satelliteneinsatz, Luftunterstützung. Trotzdem: In 92% Afghanistans sind die Taliban
erheblich oder ständig präsent. Das ist auch der Grund, warum jetzt noch einmal tausend
Soldaten von der Bundesregierung angefordert werden zur Genehmigung durch das Parlament im
September und Oktober. Dazu kann ich nur sagen, das ist ein besonders schlechter Einfall,
der führt nicht nur nicht weiter, sondern er führt auch immer weiter ins Desaster. Und
wir haben jetzt das große Problem, dass wir zweierlei Dinge nicht schaffen. Zum einen
schaffen wir es nicht, über Afghanistan korrekt zu berichten. Hier sind fast alle Medien
betroffen, besonders aber die großen und wichtigen Medien. Ich habe aus eigener Erfahrung
feststellen dürfen, dass in lokalen und regionalen Medien sehr viel mehr Wahrheit über
Afghanistan steht, als in diesen großen Medien. Der andere Punkt ist auf diesem
Hintergrund auch, dass wir tatsächlich mit der realen Situation in Afghanistan nicht
klarkommen.
Wir wissen, dass die ganzen Toten, die es auf westlicher
Seite gegeben hat – ich will gar nicht von den zigtausend Toten in Afghanistan reden
durch unsere Bombardements, über die Toten in Folterkellern überall in der Welt – dass
diese ganzen Toten eigentlich in einer Art Scheinkrieg entstanden sind, den die USA
offenbar führen und führen lassen, um in dieser Region ihre Machtposition zu stärken.
Es geht um die Bildung eines Brückenkopfs. Es geht um die Einkreisung Chinas und Irans,
um die Eindämmung Russlands, um Energierohstoffe und Kontrolle. Es ist noch nie um ein
paar bärtige Herren oder dieses seltsame Attentat vom 11. September gegangen, dessen
Umstände bis heute nicht restlos geklärt sind und über das die amerikanische Regierung
ja mehr Lügen verbreitet als Wahrheiten. Denn die Nato-Invasion 2001 haben die USA
geheimdienstlich ab April 2001 in Pakistan vorbereiten lassen, sagte mir einer der
beteiligten pakistanischen Mitarbeiter.
MM: Während Ihre Vorstellungen hinsichtlich
Außenpolitik sicherlich einem beachtlichen Teil der deutschen Bevölkerung aus dem Herzen
spricht, scheinen Sie zumindest in der Politik aber auch unter Journalisten nicht
mehrheitsfähig. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz insbesondere angesichts Ihrer
letzten Informationen?
Hörstel: Das ist relativ einfach zu erklären. Wir
haben in Deutschland eine Medienszene, die sozusagen arm ist. Da ist kein Geld mehr
vorhanden für vernünftige Recherche, das ist schon einmal eine ganz wichtige Grundlage.
Darin ist natürlich auch eine politische Absicht zu entdecken, das ist ganz klar. Man
möchte keine kritischen Medien. Dann gibt es offenbar so etwas wie einen Mechanismus,
vielleicht eine heimliche Absprache, mit dem Ergebnis, dass große Medien in Zeiten, in
denen wir Truppen im Ausland stehen haben, in schwierigen Auseinandersetzungen und
Aufträgen, keine vernünftige Kritik mehr üben oder viel zu wenig. Jedenfalls
beschönigen wir sozusagen per Prinzip und im System. Da passt ein Hörstel natürlich
schlecht hinein. Das heißt jedoch auf gut deutsch, dass die Menschen merken, etwas stimmt
nicht, aber sie wissen nicht genau warum. Deshalb haben sie sich intuitiv eigentlich
sozusagen gegen die Aussagen der großen Medien entschlossen, den Krieg in Afghanistan
abzulehnen. Nun ist es aber so, dass natürlich die angestellten Journalisten der großen
Medien versuchen müssen, ihre schwache Position zu verteidigen, und das tun sie zum
Beispiel indem sie hanebüchen lächerliche Kommentare verfassen oder eben auch Hörstel
angreifen, der den unehrenhaften Kodex verletzt, mit der Meute zu lügen. Die Bevölkerung
steht da praktisch allein. Ich halte ja viele Vorträge, lebe auch zum Teil davon, da
stelle ich fest, dass die Bürger begierig sind, Dinge zu erfahren, von denen sie den
Eindruck haben, dass sie wahr sind. Und da ich die Dinge, die ich sage, alle belegen kann,
ist es ganz gut, dass hier das Gefühl entsteht: „Aha, da ist also der Boden an der
Sache“. Im Gegensatz dazu passen sich festangestellte Journalismus den politischen
Wünschen der Regierung und der Fraktionsführungen genau so an wie auch die Mehrheit im
Bundestag. Ich habe heute gerade mit einem wichtigen Mann aus der deutschen Friedenszene
telefoniert und habe ihm bei der Gelegenheit gesagt, wir hätten in Fragen von
Militäreinsätzen ein so genanntes Rubber-Stamp-Parlament. Das ist ein Parlament, das
jede Vorlage der Regierung genehmigt. So zum Beispiel war bereits zu hören, eine große
Mehrheit des Bundestages werde die angeforderten weiteren tausend Soldaten auf jeden Fall
absegnen. So ist das, egal was das Volk will. Drei Viertel des Bundestages stimmen zu und
dreiviertel des Volkes lehnen ab - und dieser Widerspruch ist, mehr als sechzig Jahre nach
Hitler, wieder hochgefährlich für die Demokratie. Nur mit wenigen Mitgliedern dieses
Bundestages kann ich vertrauensvoll sprechen, die meisten meiden mich. Immerhin lesen
viele meine e-mails…
MM: Versuchen wir dennoch zur Abrundung einen
optimistischen Ausblick. Könnte Deutschland nicht angesichts seiner Geschichte und seinen
traditionell guten Beziehungen zu Muslimen, sowie einem nicht mehr zu übersehenden
eigenen muslimischen Bevölkerungsanteil eine Art Leuchtturmfunktion in Europa
übernehmen, um sich für einen gerechten Frieden in allen von Ihnen angesprochenen
Regionen einzusetzen und könnte solch ein Schwenk in der Politik nicht auch positive
Auswirkungen auf die eigene Wirtschaft mit enormen Wachstumspotentialen in der
muslimischen Welt haben und zum inneren Frieden mit den eigenen Muslimen beitragen?
Hörstel: Eine wunderbare Frage, sehr gut formuliert.
Ich kann natürlich zu allem nur „Ja“ sagen, genau so könnte es gehen, da bedarf es
überhaupt keiner Diskussion. Ich will kurz auf das Thema Iran zurückkommen. Ein sehr
wichtiger Schritt wäre ja gewesen - leider ist es im Moment zu spät dazu - dass wir
unseren amerikanischen Freunden und Verbündeten schlicht verbieten, von unserem Boden aus
einen Krieg gegen den Iran zu starten. Ein leichter Schritt, die Türken haben uns das im
Irakkrieg vorgemacht. Und wir schaffen das nicht, das ist mir mehr als peinlich, ich
schäme mich. Sehenden Auges bringt die Bundesregierung in diesen Tagen, während das
Kriegsrisiko besonders groß ist, dass Israel einen Pilotangriff führt und die NATO,
geführt von den USA, rückt dann nach, dass dieses Risiko bewusst eingegangen wird. Und
das halte ich für mich persönlich nur sehr schwer verzeihlich gegenüber der
Bundesregierung, weil ich nicht möchte, dass Deutschland sich wieder an einem aggressiven
Krieg beteiligt gegen ein Land, das völlig unschuldig ist und gegen das wir mit allen
Mitteln einen unangenehm verlogenen Propaganda- und Geheimdienstkrieg führen. Und hier
wäre auch gleichzeitig der Ausweg aus der jetzigen Lage, in die wir uns hineinbegeben
haben, wo man sagen könnte, eine solche Geste, von deutschem Boden aus keine ungerechten
Kriege gegen fremde Völker mehr zu führen oder zu gestatten, das wäre doch ein mal ein
gutes Wort um in eine bessere Zukunft zu starten.
Das Positive, das sie angesprochen haben, das sehe ich
genauso, steckt vor allem aber darin, dass die Mehrheit des deutschen Volkes solche
verbrecherische Kriege ablehnt. Und jetzt geht es eigentlich darum, dass wir in Zukunft
unsere Volksvertreter, die so genannten, die ich manchmal eher als "Volkstreter"
bezeichnen möchte, dass wir die dazu bringen, was das deutsche Volk sich wünscht,
insbesondere in solchen wichtigen Fragen von Krieg und Frieden; nämlich vor allem Frieden
und friedlichen Ausgleich der Interessen. Das geht auf jeden Fall, das geht immer und
überall, wenn man sich ehrlich zusammensetzt, kommt man allermeistens auch zu guten
Ergebnissen, und damit auch in bessere internationale Verhältnisse.
Und ich stelle ja auch eines psychologisch fest, wenn ich
mich mit Muslimen in Deutschland unterhalte, spüre ich die Enttäuschung. Dann spüre ich
auch die Wut über Dinge, die hier passieren und die natürlich nicht gutgeheißen werden
können, Entscheidungen, die die Bundesregierungen treffen, ob nun gegen Afghanistan für
einen Flotteneinsatz vor der Küste des Libanon im israelischen Interesse usw. usf.,
Dinge, die nicht sein müssen, die wir einfach tun im blinden Gehorsam gegenüber
Washington. Das kann nicht gut sein, das müssen wir überwinden. Und wenn wir es dann
überwinden könnten, wären natürlich die Folgen ungeheuer, insbesondere auch für das
Zusammenleben der geborenen Deutschen mit den hier lebenden mehreren Millionen Muslimen,
die im Schnitt große Bereitschaft zeigen, sich hier mit der umliegenden deutschen
Bevölkerung gut zu verstehen. Ich jedenfalls kenne persönlich viele solche Beispiele.
Und das könnte sich verbessern, wenn wir in unsere Außenpolitik einfach nur etwas mehr
nach Recht und Gesetz gehen würden.
MM: Gut, dann kommen wir zur vorletzten Frage, die
mit Ihrer Personen zusammenhängen. Wofür steht der Friedenskreis Deutschland e.V.,
dessen Vorsitzender Sie sind?
Hörstel: Wir vertreten hauptsächlich zwei
grundsätzliche Standpunkte. Der eine ist, dass wir in der internationalen Politik das
Recht und die Fairness sprechen lassen und uns friedlich verhalten wollen; genau das, was
die NATO eben in den letzten Jahren nicht getan hat, und dass wir innenpolitisch den
Fortschritt sozial und nachhaltig gestalten wollen, also nicht nur technologischen
Fortschritt oder wirtschaftlichen Fortschritt, sondern, dass dieser Fortschritt sich für
alle Teile der Bevölkerung positiv auswirkt.
Wir haben heute in ganz Europa, aber auch in Deutschland eine
sich öffnende Schere zwischen arm und reich. Die Reichen werden reicher, die Armen werden
ärmer und das ganze Volk rückt immer weiter auseinander. Wir wissen aus den neusten
Berichterstattungen, dass 13 % der Deutschen arm sind. Und diese Armut ist beißend, sie
ist hart, sie hat ein außerordentlich unschönes, unangenehmes Leben zur Folge und viele
dieser Armen bitten ihre Freunde mit Erfolg um Geld und dann leben sie davon auch,
letztlich greift der Staat also den Freunden dieser Betroffenen auf diese Art und Weise
sehr elegant in die Tasche. Und diese Verhältnisse können so nicht andauern, wenn wir
auf der anderen Seite sehen, dass die Zahl der Millionäre wächst – und zwar in großem
Maße. Wir erleben ja oft Steigerungen in Konzernspitzengehältern, die unglaublich sind.
In einem Jahr 30 % wollte ein, Gott sei Dank, verabschiedeter, Konzernchef seinem Vorstand
und sich selbst genehmigen, während seien Firma vom größten Korruptionsskandal der
deutschen Geschichte gebeutelt wurde. 70 % waren es bei der Bahn, gerade zur Zeit der
Tarifkämpfe! Und als das hochkam gab es jedes Mal eine Explosion der Wut und dann ist man
jedes Mal schnell wieder davon abgerückt, aber das kann es doch nicht gewesen sein. Es
muss doch so sein, dass man sich ein bisschen umschaut, wie es denn aussieht, man
genehmigt sich nicht Gehaltssprünge, die einfach jenseits von Gut und Böse sind und den
Rest der Bevölkerung nur verärgern können. Also das ist ein wichtiges Thema, dass wir
eben nicht vergessen, dass wir nur als ganzes Volk erfolgreich sein können und
zusammenleben können in Frieden und Ruhe und nicht, wie soll man sagen, in Segmente
aufgeteilt, den einen heult der Magen und bei den anderen heult die Autohupe und die
Jachthupe und der Privatflieger. So kann es nicht sein!
MM: Abschließende Frage: Mit welchem Buch ist nach
Ihren beiden Büchern über Afghanistan und Pakistan in Zukunft zu rechnen?
Hörstel: Das ist noch nicht sicher. Ich denke über
zwei Projekte nach. Das eine betrifft tatsächlich den Iran, wobei ich ständig das
Gefühl habe, ich müsste eigentlich morgen abreisen, weil ich nicht weiß, wie lange
alles noch heil ist. Und das andere Buch betrifft eindeutig Nahost und die verfahrene
Situation in Palästina.
MM: Herr Hörstel, wir danken Ihnen für das Interview
Hörstel: Besten Dank für dieses Gespräch.
Quelle: Muslim-Markt |