Die strukturelle Assimilation des Islam in Deutschland

- Anmerkungen zu den Körperschaftsrechten aus islamischer Sicht - Dr. Ayyub A. Köhler

Unter den Muslimen in Deutschland gibt es nicht wenige, die das Heil ihrer Gemeinschaft in der Anerkennung des Islam als Körperschaft des öffentlichen Rechts sehen. Unterdessen versuchen schon einige islamische Vereine die Voraussetzung dafür zu schaffen, indem sie versuchen, die islamische Religion mit einer ihr wesensfremden Kirchenstruktur zu verändern. Da gibt es u. a. schon der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) nachempfundene phantasievolle Amtsbezeichnungen und vorweggenommenes amtliches Gebaren. In einer der großen Dachorganisation "einigte man sich auf ein sehr interessantes Modell, nämlich das Modell der Reformierten Kirche". Die Kirchenstruktur gilt in der Praxis nämlich unausgesprochen und traditionell und nur in Deutschland als die Grundstruktur einer islamischen Religionsgemeinschaft als sog. Körperschaft des öffentlichen Rechts, mit klaren Organisationsstrukturen, mit Verfahren der Willensbildung, mit Organen und nicht zuletzt Instanzen, die authentisch und verbindlich über Lehre und Ordnung zu entscheiden haben.

 

Eine unzuverlässige Symbiose

Die Praxis des Umgangs des deutschen Staates mit den islamischen Körperschaften wird immer von einer Kirchenstruktur ausgehen ("Die normative Kraft des Faktischen"). Der erste Schritt in den Reformislam und die Säkularisierung des Islam ist damit getan. Der Lohn dafür sind materielle Vorteile für die Verbände und ihre Funktionäre, wie das Recht, Steuern zu erheben (Art. 137 Abs. 6 WV/GG) bzw. die Zakat vom Staat einziehen zu lassen, Vergünstigungen im Steuerrecht und bei den nicht unerheblichen Gebühren beim Immobiliengeschäft zu profitieren, mit staatlichen Förderungen zu rechnen, ihren Mitarbeitern den begehrten Status von Amtsträgern (als "islamischer Beamter") zu verleihen und Partizipationsrechte zu genießen (z.B. bei der Bauleitplanung, wo ein Moscheebau vorgesehen ist) und leichter an Subventionen heranzukommen.

Der Staat meint, er verschaffe sich auf diese Weise ihm zugeordnete Gegenüber als Ansprechpartner, bei denen sie ggf. auch verbindliche "amtliche" Entscheidungen über Glaubensfragen einholen können und müssen. Das wird er tun, weil er als Staat ja aus Neutralitätsgründen nicht über die Glaubensinhalte der Religionsgemeinschaften bestimmen kann. Schlimmstenfalls wird er es mit einer nicht durch Konsens bzw. demokratische Willensbildung aber durch die Körperschaftsrechte verfestigten Funktionärskaste bzw. autokratisch regierenden Funktionärsoligarchie zutun haben, deren Aussagen oder Meinungen für einen Muslim überhaupt nicht verbindlich sein müssen. Einer orientalischen politischen Kultur wird so in Europa der Weg geebnet.

Angesichts dieser Verhältnisse wird die Umma nun auch gespalten einmal in solche Gemeinschaften, deren körperschaftliche Amtsträger eng mit dem Staat zusammenarbeiten und zum anderen in jene Muslime, die aus guten Gründen dieser strukturellen Assimilation skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen. Und es ist abzusehen, daß letztere von den ersteren bald als "Ultra-Orthodoxe" oder Fundamentalisten abgestempelt oder denunziert werden, und daß diejenigen Muslime, die die körperschaftliche Verfassung ablehnen, wiederum den anderen Mißbrauch des Islam für egoistische (und auch persönliche) materielle und machtpolitische Ziele und Zwecke sowie Reform und Säkularisierung des Islam vorwerfen. Der Graben kann also tiefer nicht sein, der durch die Körperschaftsrechte aufgerissen wird. Der Saat schafft sich (und auch den Muslimen) mit den Körperschaftsrechten nur neue Probleme.

Es kommt noch hinzu, daß durch den Alleingang einzelner islamischer Verbände die mühsam hergestellte und bestehende Einheit der Muslime in wenigstens zwei islamischen Dachverbänden (Zentralrat der Muslime in Deutschland, ZMD, und Islamrat und mit Einschränkung die staatlich-türkische DITIB) wegen faktischer Bedeutungslosigkeit aufgelöst wird – es sei denn, daß sich alle Muslime bestehenden, verfestigten, autokratisch regierenden Funktionärsoligarchien unterwerfen. Diese Möglichkeit ist insofern nicht auszuschließen, als unter den Muslimen das Bewußtsein für Eigenverantwortung und islamische Selbstbestimmung verkümmert ist und sie in starken Organisationsstrukturen (oder gar in einem islamischen Staat) ihr Heil und vermeintlich auch ihre Würde suchen.

In dieser Hörigkeit wird dann die sich herausbildende europäische Umma auch in die geistige Lethargie orientalischer Herrschaftsformen versinken, denn selbst konstruktive Kritik an den Maßnahmen, den Finanzen und den Umgangsformen der Funktionäre gilt als Verrat am Islam – so jedenfalls predigen es die Funktionäre schon seit Generationen und haben sich damit unangreifbar gemacht, und wegen ihrer oft mit dem Verband verquickten Vermögensverhältnisse sind sie auch nicht mehr absetzbar. Auf eine Belebung des Islam und der Umma und einen originären Beitrag des Islam in Europa kann unter diesen Umständen keine Hoffnung mehr gesetzt werden.

 

Macht und Verantwortung vor Gott und der Umma – die Kontrolle der Macht

Nur eine Religion ohne Machtstrukturen bleibt lebendige Religion: Jeder Gläubige ist aufgerufen, selbst über seine Religion nachzudenken und nach dem besten Handeln zu streben (Selbstverantwortung des Muslims vor Gott). Der Fortschritt, den der Islam den Menschen gebracht hat, ist die Befreiung des Menschen von Entmündigung. Die islamisch-kirchlichen Machtstrukturen bedeuten dann entweder für den Islam und die Muslime Entfremdung, Polarisierung, Ausgrenzung und schaffen keine Überzeugungen oder nur fanatisierte Mitläufer oder Schafe. Das Schöpferische, das unserer Religion im Menschen weckt, wird verhindert. Der Fortschritt, den der Islam der Menschheit gebracht hat, wird durch entmündigende und kaum mehr zu beseitigende Machtstrukturen wieder zunichte gemacht.

Außerdem: Körperschaftsrechte nützen dann auch den Funktionären, die trotz ihres zweifelhaften Rufes zur Macht gekommen sind. Der Islam wird ihnen so zum Mittel, unangreifbar und ohne moralische Befähigung Macht auszuüben. In den meisten Gruppierungen ist dieses Thema der Kontrolle eines Vereins durch die Gemeinschaft von den Funktionären tabuisiert. Und bis jetzt haben sie sich ja auch auf den blinden Gehorsam verlassen können. Wie soll nun die absolutistische Macht solcher Funktionäre kontrolliert werden? Wird weiterhin autoritär geführt oder demokratisch oder wie anders? Können diese islamischen Amtsträger, die mit allen Mitteln ihre staatliche Anerkennung anstreben, daran gewöhnt werden, daß sie nicht nur von Gott sondern auch von ihren Mitgliedern zur Rechenschaft gezogen werden können? Der Staat wird sich also überlegen müssen, wen er sich ins Haus holt.

 

Ausblick und Alternativen

Die Muslime würden sich allerdings mit ihren Körperschaftsrechten nicht in Sicherheit wiegen können. Bezugnehmend auf den ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Joachim Rottmann muß vor neuen und spitzfindigen Argumenten gewarnt werden, die die Erlangung der Körperschaftsrechte und die praktische Durchsetzung für die Muslime wiederum erschweren werden: Durch die Inkorporierung der Kirchenrechtsartikel der Weimarer Verfassung (WV) in das Grundgesetz (GG) sind manigfache Probleme der Verfassungsauslegung heraufbeschworen worden, so daß auf Religion und Religionsgemeinschaften bezogene Vorschriften des GG, die aus dem Jahre 1919 stammen und heute 80 Jahre alt sind, in ihrer Tragweite auch heute noch als umstritten angesehen werden müssen. Und die Körperschaftsrechte sind (von wenigen Ausnahmen abgesehen) in der Praxis immer noch hauptsächlich Privileg der Kirchen.

Der Schaden durch Körperschaftsrechte für den Islam und die Muslime ist größer als ihr materieller Nutzen. Was die Muslimen in ihrer Geschichte immer am weitesten gebracht hat, sind die private Initiative unabhängiger Gelehrter und private Stiftungen. Mit den Körperschaftsrechten verlassen die Verbände endgültig ihren bisherigen Weg, den sie als quasi-Bürgerinitiativen gemeinsam mit ihren Mitgliedern ziemlich erfolgreich beschritten haben. Sie heben ab und verselbständigen sich mit ihrem "Beamtenapparat".

Muslime in aller Welt beklagen die Dominanz der Ordnungsprinzipien, des Rechts und der Regeln des "Westens". Im Falle der Körperschaftsrechte und der Qualifizierung zum (möglichst alleinigen) Ansprechpartner für Staat und Verwaltung beschreiten Teile der muslimischen Gemeinschaft nun freiwillig und ohne Not und in erster Linie der materiellen Vorteile wegen den Weg der Körperschaftsrechte nach eben diesen Regeln. Der deutsche Staat zwingt in diesem Fall aber den Religionsgemeinschaften keine Regeln auf. Und so wäre es den Muslimen möglich, die Selbstbehauptung und die Mitwirkung in Staat und Gesellschaft (Integration) auch einmal nach eigenen Regeln zu erlangen. Der Prozeß der Selbstorganisation in den bestehenden großen Dachverbänden sollte weiter verfolgt werden. Die Muslime müssen die Vereinsrechte besser ausschöpfen, und der deutsche Staat müßte sich in Bezug auf die islamische Glaubensgemeinschaft bemühen, nicht auf ihren auf die christlichen Kirchen abgestimmten Strukturen und Institutionen zu beharren. So schafft bzw. behält man verläßliche und kalkulierbare Ansprechpartner. Den islamischen Verfechtern der Körperschaftsrechte sei in Erinnerung gebracht, daß beispielsweise die Parteien, der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Gewerkschaften auch ohne Körperschaftsrechte die Anliegen ihres Klientels offensichtlich sehr wirksam vertreten.

Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft dürften die Körperschaftsrechte für islamische Verbände etwas Exotisches sein. Sie würden sich in der EU als Rechtskonstrukt nicht durchsetzen. Droht dann auch eine europaweite Spaltung der Muslime? Vorbild für das Verhältnis "Staat und Muslime in der EU" könnte ein anderes europäisches Mitgliedsland sein: in Spanien hat der Staat mit der Dachorganisation der Muslime ein weitreichendes Kooperationsabkommen geschlossen. In Deutschland könnte der gleiche Weg beschritten werden.

Wenn bestehende vereinsrechtlich organisierte große islamische Dachorganisationen als Ansprech- bzw. Kooperationspartner vom Staat akzeptiert würden, könnten die schwerwiegenden verfassungsmäßigen Bedenken und Schwierigkeiten, die die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts verzögern oder gar unmöglich machen, vermieden werden. Die Muslime würden sich den Hindernislauf über die Hürden, die Klimmzüge und Fallstricke ersparen. Sie brauchen sich nicht erst für den Staat zurechtbiegen zu lassen. Das Gros der Muslime verlangt nicht mehr, als daß sie nach ihren Glaubensüberzeugungen in Deutschland als ein Teil der pluralistischen Gesellschaft unbefangen leben und arbeiten können sowie bildungspolitisch den anderen Religionsgemeinschaften gleichgestellt bzw. gleichbehandelt werden – also ihre verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten gleichermaßen wahrnehmen können.

Quelle: Islam.de

@ Ekrem Yolcu

 

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