Zum Geleit

Die beiden letzten Suren des Qur'an - Sura 113 (Al-Falaq, Das Morgengrauen) und Sura 114 (An-Nâs, Die Menschen) werden »Die beiden Schutzverleihenden« genannt. Allah (t) lehrt durch sie in kurzer, gedrängter, aber umfassender Form, daß wahre Zuflucht und alleiniger Schutz nur bei Ihm, unserem allmächtigen Schöpfer, gefunden werden können.

Es ist das Bewußtsein dieser Tatsache, das den Muslim in Situationen, in denen er sich bedroht, bedrückt oder bedrängt fühlt, Schutz suchen läßt bei Allah (t) vor Bösem und Unheil, das ihn von Angstzuständen und Depressionen befreit und das ihm ein Gefühl der Geborgenheit und des Geschütztseins vermittelt. Um dieses Bewußtsein zu stärken und darin inneren Frieden zu finden und um diesen Schutz zu erbitten, wird er deshalb in derartigen Situationen ein Stück aus dem Qur'an, also von Allahs eigenen Worten, rezitieren. Dazu ist jede Sura geeignet, besonders aber sind es die genannten Suren, denn sie beginnen beide mit den Worten

: »Sprich: Ich nehme meine Zuflucht zum Herrn.. «

Kurz und prägnant werden diese beiden Suren meistens als »Die Schutz-Suren« bezeichnet, allerdings nicht im Qur'an selbst, sondern in den Hadit-Büchern. Damit durch diesen Begriff nun nicht falsche Eindrücke oder Vorurteile erweckt werden, sei jedoch Folgendes klargestellt:

Wie aus dem Gesagten bereits deutlich geworden sein dürfte, handelt es sich bei diesen beiden Suren keineswegs um »Beschwörungsformeln« oder »Zauberworte«, so wie dies manchmal fälschlicherweise behauptet wird, um den beiden Suren eine magische Komponente zu verleihen und sie dadurch abzuwerten. Beachten wir in diesem Zusammenhang, daß auch die erste Sura des Qur'an, Al-Fatiha, u.a. AL-Wãqiya, »Die Schützende«, genannt wird - auch in ihr wird dargelegt, daß nur Allah (t) es ist, bei Dem man Hilfe suchen darf und Hilfe finden kann.

Auch die bisweilen geäußerte Behauptung, daß die beiden Suren ursprünglich nicht zum Qur'an gehörten, sondern ,»erst später als abwehrende Schlußworte der ganzen Sammlung angehängt« worden seien, trifft nicht zu, denn der Prophet Muhammad (a.s.s.) hat diese Suren im Gebet rezitiert (sie waren also bereits zu seinen Lebzeiten bekannt) und selbst gesagt, daß sie Teil der Offenbarung Allahs (t) seien. Ausdrücklich hat der Gesandte Allahs (a.s.s.) jede Form des Aberglaubens strikt abgelehnt und als Irrglauben bezeichnet - jeder, der sich um vorurteilsfreie Betrachtung bemüht, sollte sich also davor hüten, an Aberglauben oder Magie im Islam zu denken.

Es versteht sich von selbst, daß wir nicht den Anspruch erheben, im Rahmen dieses kleinen Beitrags die beiden Suren und ihre Thematik er-schöpfend zu behandeln - falls dies überhaupt jemals möglich sein sollte. Viele Fragen mussen deshalb offen bleiben, und es wird sich zeigen, daß sich um so mehr Fragen stellen, je intensiver man sich in die Thematik vertieft.

In einem Kulturkreis, in dem man dazu tendiert, die Existenz von Dingen nur dann anzuerkennen, wenn sie empirisch-wissenschaftlich überprüfbar ist, während andererseits der Aberglaube die wunderlichsten Blüten treibt, werden manche Leser vielleicht feststellen, daß sie gar keinen oder doch nur sehr schwer Zugang zu der hier dargelegten Gedankenwelt finden. Dies ist, vor allem, wenn man sich das erste Mal damit auseinandersetzt, verständlicherweise auch nicht einfach - setzt es doch in vieler Hinsicht voraus, vertraute und als selbstverständliche Wahrheit betrachtete Denkschemata in Frage zu stellen. Vor allem für den muslimischen Leser sei noch hinzugefügt, daß man nicht immer und zu jeder Zeit aufnahmefähig ist, um zu begreifen, und daß es längere Zeit dauern kann, bis wir tatsächlich mit dem Verstand oder zumindest mit dem Herzen verstehen - vielleicht Tage, vielleicht Monate, vielleicht Jahre. Bedenken wir, daß uns Allah (t) im Qur'an in Seiner Gnade manches nicht nur mitteilt, um uns aufzuklären, sondern auch als Prüfstein für unseren Glauben - und erinnern wir uns, was Er uns in den ersten Versen der Sura 2 (Al-Baqara, Die Kuh) sagt:

»Dies (der Qur'an) ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist, (offenbart) als Rechtleitung für die Gottesfürchtigen (2), die an das Ungesehene glauben... (3) und die an das glauben, was (als Offenbarung) zu dir (o Muhammad) und was vor dir herabgesandt worden ist, und die vom Jenseits überzeugt sind (4). Sie sind von ihrem Herrn rechtgeleitet, und ihnen wird es wohl ergehen (5). «

Muhammad Rassoul

Im Ramadan 1402 / Juli 1982